Nachbarschaftsstreit:Die lauten Kinder von nebenan

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Früher lebten 104 Personen in dem Wohnheim, jetzt ist es für 250 Bewohner zugelassen. (Foto: Florian Peljak)
  • Streit um das Haus in der Thalkirchner Straße 9: In dem Wohnheim leben 227 Menschen, die ihre Wohnung verloren haben - darunter knapp 100 Kinder.
  • Die sind die Nachbarn zu laut. Sie klagen darum gegen die Betreiber des Heimes.
  • Das Gericht legte den Eigentümern und dem Betreiber des Heims nahe, sich mit den besorgten Nachbarn gütlich auf Nachbesserungen zum Lärmschutz zu einigen.

Von Ekkehard Müller-Jentsch und Thomas Anlauf

Der große Sandkasten im Hof ist aufgeräumt, die zwei Schaukelpferdchen verwaist. Unter der großen Fluchttreppe lehnen ein paar Kinderräder, außer einer Gruppe Erwachsener mit Akten unter den Armen ist hier niemand zu sehen. Vor allem keine Kinder. Doch die sind der Hauptgrund, weshalb sich die Baukammer des Verwaltungsgerichts München, Anwälte und Prozessbeteiligte im Hinterhof der Thalkirchner Straße 9 treffen. Es ist Montagmittag, als das Gericht beim Ortstermin in dem Wohnheim ist, um herauszufinden, ob die Kinder, die hier seit ein paar Monaten mit ihren Eltern untergekommen sind, zu laut sind. Früher lebten 104 Personen in dem Wohnheim - jetzt ist es für 250 Bewohner zugelassen.

Kläger sind zwei einzelne Nachbarn und die komplette Eigentümergemeinschaft eines angrenzenden Wohngebäudes. Auch wenn die Klagen nicht identisch sind, so geht es in der Summe um die Befürchtung, dass zumutbare Lärmgrenzwerte nicht eingehalten werden und insgesamt gegen das Gebot verstoßen werden könnte, nach dem Nachbarn aufeinander Rücksicht zu nehmen haben. Außerdem mussten auch neue Rettungswege angelegt werden: Einer der wesentlichen Streitpunkte ist nun eine große Fluchttreppe im Hof. Sie verletzt nicht nur Abstandsflächen zur angrenzenden Bebauung. Sondern sie ist aufgrund ihrer Metallkonstruktion auch sehr laut. Eigentlich dürfte sie nur im Notfall benutzt werden, doch für die Kinder ist die Treppe ein toller Turn- und Spielplatz.

Es kann schon etwas lebhafter werden

Knapp 100 Kinder und Jugendliche leben nun hier in dem ehemaligen Apartmenthaus, das von der Stadt angemietet worden ist und vom Evangelischen Hilfswerk betrieben wird. Insgesamt sind es derzeit 227 Menschen, die ihre Wohnungen verloren haben und hier, im Haus "Lollo", einen Neuanfang wagen können. Es gibt Betreuer, die bei der Suche nach einem neuen Job oder bei Behördenproblemen helfen. Und für die Kinder stehen Zimmer zur Verfügung, in denen sie mit Erzieherinnen Hausaufgaben machen oder in denen sie spielen können. Und da ist natürlich auch noch der Hof, den die Familien nutzen dürfen. Tagsüber, sagt der Hausleiter Marc Bocklet, könne es schon mal etwas lebhafter werden. Aber bereits bei der offiziellen Eröffnung Anfang März kündigte er an, dass er und sein Team versuchen wollen, die Kinder und Jugendlichen möglichst auf Spielplätze in der Gegend zu schicken, damit sich die Anwohner nicht am Kinderlärm stören.

Einer von denen, die sich trotzdem gestört fühlen, steht beim Gerichtstermin vor dem siebenstöckigen Gebäude und schimpft leise. "Des ko doch ned sei, dass die Kinder bis um zehn Uhr draußen san", sagt der ältere Herr von nebenan.

Betreuer helfen den Bewohnern und ihren Kindern bei alltäglichen Problemen. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Eigentümer von Haus Nummer 9 haben wenig Verständnis für die Beschwerdeführer. "Man kann den Kindern ja nicht den Mund zuhalten", sagt einer der Eigentümer, die beide nicht namentlich genannt werden wollen. Sein Miteigner sagt: "Man ist ja schließlich nicht allein auf der Welt." Schon gar nicht in dieser Gegend der Stadt: Der Sendlinger-Tor-Platz ist nur ein paar Schritte entfernt, hier tobt nachts das Leben. Mehrere Lokale finden sich auf 100 Metern, die Thalkirchner Straße gehört auf diesem Abschnitt zur Feiermeile der Innenstadt. Die Menschen, die im Haus "Lollo" wohnen, zählen sicherlich nicht zum Feiervolk. "Die Leute, die hier früher gewohnt haben, waren eine Katastrophe", sagt einer der Eigentümer. Vor allem Arbeiter sollen es gewesen sein, die nach ein paar Monaten wieder ausgezogen sind. "Heute wird sich hier um die Menschen im Haus gekümmert, und das 24 Stunden am Tag", sagt der Immobilienbesitzer aus Schwabing.

Gemengelage statt Wohngegend

Am Nachmittag, bei der mündlichen Verhandlung im Gericht an der Bayerstraße, macht die Kammervorsitzende Marion Pauli-Gerz den Vertretern der Stadt Vorhaltungen, dass die vorgelegten Pläne der Baugenehmigung ungenau und teilweise unzutreffend seien. Das Gericht weist darauf hin, dass es sich bei diesem Quartier keineswegs um eine reine Wohngegend handle, sondern um eine "Gemengelage". Den Klägern wird erklärt, dass sie schon Chancen hätten, dass aus formalen Gründen die Baugenehmigung aufgehoben werden könnte. Aber damit sei für sie nicht viel gewonnen - denn die Stadt brauche die Pläne nur leicht zu modifizieren.

Das Gericht legte den Eigentümern und dem Betreiber des Heims nahe, sich mit den besorgten Nachbarn gütlich auf Nachbesserungen zum Lärmschutz zu einigen. In diesem Punkt wurde das Verfahren ausgesetzt, um die Ergebnisse dieser Verhandlungen abzuwarten. In anderen Punkten stehen voraussichtliche Klageabweisungen ins Haus: Keiner der Kläger habe etwa Anspruch auf die Bewahrung des Gebietscharakters als "teure und gehobene Wohnlage". Einige Nachbarn hatten mit ihren Klagen die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass sie bisherige Mieten nicht mehr erzielen und dass der Wert der Immobilie fallen könne, da etwa durch das vergrößerte Wohnheim mit erhöhter Kriminalität oder einem höheren "Aggressionspotenzial" zu rechnen sei. Das Gericht hatte hier in einem vorgeschalteten Eilverfahren schon deutlich gemacht, dass diese Klagepunkte keinen Aussicht auf Erfolg haben.

© SZ vom 23.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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