Nach S-Bahn-Gewalt in Solln:Notorische Wegschauer

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Eine 17-Jährige setzt sich für einen Lebensmüden ein und ruft um Hilfe. Andere Fahrgäste greifen jedoch nicht ein. Ausgerechnet an einem Münchner S-Bahnhof.

Bernd Kastner

Es ist viel von Zivilcourage die Rede in diesen Tagen, da München noch immer fassungslos ist ob der Gewalttat von Solln. Dort war am Samstag vor einer Woche ein Mann zu Tode getreten worden, weil er sich schützend vor vier Kinder gestellt hatte. Am S-Bahnsteig in Solln, wo Dominik Brunner starb, trug sich nun am Sonntag etwas zu, das weit wenig dramatisch endete, aber auch so manches aussagt über Zivilcourage.

Dort, wo Blumen an Dominik Brunner erinnern, kam es erneut zu einem Vorfall. (Foto: Foto: ddp)

Anna Schmid, 17, (Name geändert) war am Sonntagnachmittag auf dem Weg nach Hause und wollte am Heimeranplatz in die S 7 in Richtung Wolfratshausen steigen. Auf dem Bahnsteig, erzählt sie, traf sie einen Bekannten, und der habe mit einem Mann geredet. Mitte vierzig war der etwa, und alkoholisiert.

Er habe angekündigt, sich umbringen zu wollen, hatte, so erzählt die Schülerin, eine Glasscherbe in der rechten Hand. Den linken Arm hatte er sich von oben nach unten mehrfach aufgeschlitzt. Er blutete stark, Hemd und Hose waren ganz rot. Anna rief mit dem Handy die Polizei an. Während sie mit einem Beamten sprach, habe sich der Mann auf die Gleise zubewegt, da wurde der Zug gerade per Lautsprecher angekündigt.

Es habe gewirkt, als wolle er auf die Gleise springen. Anna sagt, sie habe mehrfach zwei andere Fahrgäste auf dem Bahnsteig angesprochen: "Können Sie uns bitte helfen!", habe sie gerufen, drei-, vier-, fünfmal. Der Mann und die Frau hätten sie angeschaut - sich dann aber weggedreht.

Anna Schmid und ihr Freund stiegen dann mit dem blutüberströmten Lebensmüden in die S7, das Mädchen war mit den Nerven am Ende, brach in Tränen aus. Am Telefon hatte sie noch immer die Polizei, ihr Bekannter redete derweil mit dem Mann, um ihn zu beruhigen. Der erzählte von einem Schicksalsschlag, den seine Familie getroffen hatte, und irgendwann wollte er aussteigen.

Das war am Bahnhof Solln. Sie seien genau dort auf den Bahnsteig getreten, wo Dominik Brunner zusammengeschlagen worden war, wo nun ein Meer aus Blumen liegt. Dort seien etwa ein Dutzend Menschen gestanden, Trauernde, vielleicht Neugierige. Und dort gingen jetzt zwei junge Leute mit einem blutbesudelten Mann vorbei, Anna noch immer tränenüberströmt - aber keiner kümmerte sich. Keiner habe gefragt, sagt die Schülerin, ob er helfen könne.

Direkt habe sie dort niemanden mehr angesprochen, denn die Polizei, die den Vorfall in den Grundzügen bestätigt, war nicht mehr weit. Der Beamte, sagt Anna, habe ihr am Telefon gut beigestanden, aber die Ignoranz der Leute, so kurz nach der Tat von Solln, die mache sie fassungslos.

© SZ vom 22.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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