Musikanten in der U-Bahn:Hörbare Armut

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Was in Berlin Alltag ist, hat die Behörden in München kalt erwischt. Musiker, meist Migranten aus Osteuropa, die in S- und U-Bahnen spielen. Streetworker, Polizei und Bahn sind ratlos, denn eine Kontaktaufnahme ist ziemlich schwierig.

Von Ferdinand Otto

Die Armutsmigration in München ist sichtbar. Oder besser: hörbar - und ebenso flüchtig. Zwei Akkordeonspieler steigen in die voll besetzte S- oder U-Bahn, einer hält den Klingelbecher, manchmal ist einer der beiden ein kleines Kind. Die Polizei wird gerufen, an der nächsten Haltestelle steigen die beiden Musikanten aus, tauchen unter im Pendlermeer, nehmen die nächste Bahn. Das Spiel beginnt von vorn. Was in Berlin Alltag ist, hat die Behörden in München vor wenigen Monaten kalt erwischt. Musiker, meist Migranten aus Osteuropa, die durch die Züge streifen, das kannte die Landeshauptstadt nicht.

"Bis vor ein paar Monaten hatten wir dieses Phänomen noch nicht", sagt Matthias Korte, Pressesprecher der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG). Seitdem erreichten ihn aber "spürbar mehr Beschwerden von Fahrgästen". Betteln und musizieren ist in den Zügen verboten. Im Wiederholungsfall drohen Hausverbote oder Anzeigen. Gegen die Musiker könne man aber nur bedingt vorgehen: "Die meisten haben einen gültigen Fahrschein." Außerdem sind sie oft schon in einem anderen Zug, bevor U-Bahnwache oder Polizei ankommen. Eine Schwerpunkt-Linie gibt es nicht.

Es gibt keinen Kontakt

Wie viele Musiker in Münchens Bahnen unterwegs sind, weiß keiner so genau. Bei der Bundespolizei, verantwortlich für die Sicherheit in den S-Bahnen, heißt es, das Phänomen sei bekannt, aber nicht "Hauptschwerpunkt der Polizeiarbeit." Von den Personen, die ihnen nicht entwischen, weiß die Bundespolizei nur, "dass sie recht mobil sind und teilweise in anderen Städten wieder auftauchen."

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Die großen Sozialdienste, Arbeiterwohlfahrt und Caritas, kennen zwar diese neue Form des Geldbeschaffens. "Kontakt haben wir aber keinen", heißt es beim Migrationsdienst der Awo. Genauso bei der Diakonie, die im Hasenbergl Sinti und Roma berät. Auch im Projekt Schiller25 der Inneren Mission, das sich um wohnungslose Migranten und Arme im Bahnhofsviertel kümmern, kennt keiner die Musiker.

MVG und Bahn haben Hausrecht

Dass kein Streetworker je mit ihnen in Kontakt kam, wundert Franz Herzog nicht. Herzog kümmert sich in der "Teestube Komm" um Obdachlose - auch hier weiß man zwar um die Musiker, zum Beratungsgespräch kam es aber noch nicht. "Die Kontaktaufnahme wäre extrem schwer. Der Streetworker müsste den ganzen Tag Bahn fahren, um mit den Leuten Kontakt aufzunehmen." Dass sie auf- und wieder abtauchen, sei verständlich, meint Herzog: "Wenn sie nicht im Winter im Kälteschutz sind, gibt es außer für besondere Härtefälle keine Möglichkeit, sie unterzubringen." So lebten sie wahrscheinlich verstreut in der Stadt, in wilden Camps, Abbruchhäusern oder Autos, darauf angelegt, dass keiner sie findet.

Das städtische Kreisverwaltungsreferat, das am Mittwoch zusammen mit dem Polizeipräsidium das neue Vorgehen "gegen bestimmte Bettelformen" erläutern will, verweist auf das Hausrecht von MVG und Bahn. Ob die neue Härte gegen Betteln in der Innenstadt das Betteln in den Bahnen befeuert, ist offen. Das Sozialreferat verweist auf die Beratungsangebote. Mehr könne man nicht machen, heißt es. Den einzigen ernüchternden Lösungsvorschlag hat die MVG: "Den Bettelmusikanten kein Geld geben."

© SZ vom 05.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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