Musik & Kunst:Eine Idee von Zukunft

Lesezeit: 3 Min.

Gerald Donald ist Pionier des Detroit-Techno. Augsburg würdigt das Werk des Visionärs mit einer Klanginstallation und einem Clubabend

Von Michael Zirnstein

Wohl ist Gerald Donald nicht dabei, sich zu zeigen. Schon gar nicht bei einem Event, auf dem nicht nur seine aktuelle Arbeit zu sehen und hören sein wird, sondern wo sein gesamtes Œuvre als Vordenker des Detroit-Techno - und damit vom meisten, wozu auch hierzulande bis heute in den Clubs getanzt wird - zu Ehren kommen soll. Eine "kleine Sensation" sei dies, heißt es beim Augsburger Kulturhaus Abraxas, in dessen Klang-Galerie Loop 30 bereits seit November sein Album "Transforma" (WeMe Records) in Dauerschleife tönt. Gerald Donald gilt als scheu. "Nun, das kommt darauf an, wie die Öffentlichkeit sich verhält", sagt er in einem sehr höflichen Englisch, "sollten die Menschen zu aufdringlich werden, müssen wir uns rapide zurückziehen."

Das ist weniger Koketterie eines Star-Phantoms, als ein Zurücktreten hinter der Kunst. Der US-Amerikaner, der nach nachtaktiven Jahren in Berlin inzwischen zurückgezogen von Garmisch aus in einem globalen Netzwerk musikalische Labor-Arbeit betreibt, löste sich in der Vielzahl seiner Pseudonyme in den vergangenen 30 Jahren förmlich als Person auf: Drexciya, Dopplereffekt, Der Zyklus, Aparnet, Rudolf Klorzeiger ... "Jeder Name steht für ein spezielles Konzept, für andere Partner, für einen Stil, für ein musikalisches Szenario", erklärt er, der sich jetzt im Duo Avina Vishnu mit der nicht weniger geheimnisvollen Augsburger Künstlerin Aina wieder Heinrich Mueller nennt. Der Name eines SS-Unholds trifft auf eine indische Gottheit und eine altgermanische Kämpferin.

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Sehr mysteriös startet schon Gerald Donalds Karriere. Anfang der Neunzigerjahre schuf er gemeinsam mit James Stinson - und dies lange anonym - die Unterwasserwelt Drexciya. Elektronische Musik fusionierte mit comichafter Kunst und einer afrofuturistischen Science-Fiction-Sage von einem Aquatopia. In diesem "Bubble-Metropolis" (so ein Stück) leben die bei der Verschleppung auf den Sklavenschiffen als arbeitsuntauglich über Bord geworfenen schwangeren Frauen. Sie haben Kinder geboren, die unter Wasser atmen können, und ziehen sie als Superkämpfer gegen das weiße Herrschaftssystem heran. Das Gesamtkunstwerk zum "schwarzen Atlantik" faszinierte Pop-Intellektuelle in aller Welt, ganz besonders den Münchner Musiker und Schriftsteller Thomas Meinecke, der beim Abend "From Detroit To Augsburg" als einer von vier DJs auflegen wird. Er würdigte den Drexciya-Komplex nicht nur jüngst als DJ in einer ganzen "Zündfunk"-Radiosendung, sondern bereits 2001 seitenweise in seinem Collage-Roman "Hellblau" über die afrikanische und jüdische Diaspora in Übersee. Auch ohne diesen kultur- und gender-politischen Überbau "voller poetischer Schönheit" ist Meinecke fasziniert von Drexciya - wegen der Musik, "diesem afroamerikanischen Groove", dem "Oszillieren und Flirren" und der "kühlen Eleganz", die wiederum von den deutschen Elektro-Weltstars Kraftwerk beeinflusst war. Da diese Klänge "nicht unbedingt auf den Hüftschwung zielen" wird Meinecke, der mit seiner Konzept-Band F.S.K. schon mit einem anderen Detroiter Techno-Star kooperiert hat, aber auch Tanzbareres aus der Szene in den Plattenkoffer packen. "Ich befürchte aber, es könnte ihm nicht gefallen."

Da muss Meinecke nicht bange sein, Donald sieht sich als Teil einer weltweiten Elektro-Musik-Familie. "Es gibt auch keine Trennung zwischen den Stilen, ob Ambient, Experimentelles oder Dancemusik, alles entspringt einem Fluss." Es sei nur wichtig, dass Elektro "seine Integrität und Vision bewahre". Donalds Vision war stets der Futurismus, das heißt für ihn "einen höheren Zustand der Menschheit zu erreichen - technisch, sozial und kulturell". Als Vorbild dienen ihm durchaus Science-Fiction-Utopien wie "Star Treck" oder "Tron", wo auch durch technischen Fortschritt die menschliche Beschränktheit und Individualität überwunden ist. Dazu will er mit seiner Klang-Forschung beitragen, bei Dopplereffekt klingt das eher seziertischkalt, laserscharf, mathematisch-exakt, steril wie ein Skalpell, mit Avina Visnu wird's nun eher New-Age-mäßig: Hier durchdringen sich Technik und Natur zu einem mal unheilvollen, mal idyllischen bionischen Ambient- und Drone-Sound, in dem Helikopter-Dröhnen schmetterlingszart ausflattert oder sich mit analog aufgenommen Gänseschnattern mischt. Naturfotos etwa von Schilf am See, die elektronisch grell aufgebrochen erscheinen, ergänzen nun die Musik und das Artwork von Annika Hippler in einem Video, das am Detroit-Abend im Abraxas-Ballettsaal zum erst- und in Augsburg einmalig projiziert wird. "Das ist Stufe eins", sagt Gerald Donald. Aina werde bald mit einem kompletten audiovisuellen Avina-Vishnu-System in die Welt ziehen, die Vernissage in Augsburg sei "ein Beta-Test": Er werde das Event beobachten, die Reaktionen der Leute einfangen, ihre Perspektive und auf das Konzept erfragen". Danach könne man Justierungen an vornehmen. Gerald Donald wird zu Studienzwecken nach Augsburg reisen, nicht um sich feiern zu lassen.

From Detroit to Augsburg : "Celebrating the Work of Avina Visnu and Heinrich Mueller", Sa., 29. Feb., 21 Uhr, Augsburg, Kulturhaus Abraxas, Eintritt frei

© SZ vom 27.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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