Münchner Werkstatt A24:Die soziale Reparatur

Lesezeit: 3 min

Lernschwächen, Schulabbruch, Arbeitslosigkeit: Die Werkstatt A24 macht Jugendliche und Erwachsene mit schwieriger Vergangenheit fit für den Arbeitsmarkt - für viele ist es die letzte Chance.

Anna Fischhaber

Mit aller Kraft presst Tarek das Schleifpapier auf den blauen Kotflügel, der vor ihm liegt. Weiße Späne fliegen in der Werkstatt auf. Das Autoteil hat schon einige Dellen und Beulen, die mit sandfarbenen Material gefüllt sind. Diesmal will Tarek alles richtig machen. Nervös fährt er sich durch die dunklen Haare, Schweißperlen tropfen von seiner Stirn auf den Blaumann.

Der 18-jährige Tarek macht bei A24 eine Lehre zum Fahrzeuglackierer. (Foto: Foto: Fischhaber)

Tarek ist 18 jahre alt, er kommt aus Afghanistan, sein Hauptschulzeugnis ist schlecht. Der junge Mann leidet unter Prüfungsangst. Die neunte Klasse hat er wiederholt, den Berufsvorbereitungskurs geschmissen. Alles keine guten Vorraussetzungen für eine Ausbildung zum Fahrzeuglackierer. Doch Tarek hat es geschafft. Seit fünf Wochen ist er Lehrling bei A24 - und hat dort seine erste und wohl auch letzte Chance bekommen.

Die Werkstatt in der Aidenbachstraße in Sendling hat sich der Ausbildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit schwieriger sozialer Vergangenheit verschrieben. Derzeit werden bei A24 unter dem Dach des Trägervereins Spectrum rund 200 Personen im Kfz- und Zweiradbetrieb ausgebildet. Bei der letzten Gesellenprüfung konnten 40 von 44 Azubis vor der Handwerkskammer bestehen. 40 junge Männer die auf dem freien Markt kaum eine Chance auf einen Ausbildungsplatz gehabt hätten. Gerade wurde A24 für das Engagement gegen Jugendarbeitslosigkeit mit dem Deichmann-Förderpreis ausgezeichnet.

Ein unerreichbarer Traum

Ausgerechnet ein Pfarrer hat die Münchner Werkstatt vor über 20 Jahren gegründet. Bereits damals zeichnete sich eine wachsende Zahl an Menschen ab, die mit den steigenden Anforderungen in der Arbeitswelt nicht Schritt halten konnte - oder wollte. Mit einer Spende von 7000 Mark kaufte Heinrich Samhammer von der evangelischen Gemeinde in Haidhausen einen alten VW-Bus, den ein Kfz-Meister nach Feierabend gemeinsam mit Jugendlichen von der Straße reparierte.

"Viele waren danach so motiviert, dass sie eine Ausbildung begannen", erzählt Ursula Geisler, pädagogische Leiterin von A24. Damals sei aber auch klar geworden, dass es nicht genügt, einem Arbeitslosen irgendeine Stelle zu suchen. "Viele Hilfestätten haben das Problem, dass die Jugendlichen die Ausbildung nur aus der Not heraus machen", sagt Geisler. Die Kfz-Branche dagegen sei seit Jahren der Traum vieler Hauptschüler.

Ein unerreichbarer Traum. Für eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker braucht man auf dem freien Arbeitsmarkt in der Regel Mittlere Reife - wie für viele andere Lehrberufe auch. Die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt hat sich dramatisch zugespitzt. Jeder zweite Hauptschüler hat nach einem Jahr noch keinen Ausbildungsplatz gefunden, fand der Bildungsbericht 2008 heraus. Schuld daran seien meist schlechte Zeugnisse und ziellose Bewerbungen.

Bei den Lehrlingen von A24 kommen Lernschwächen und persönliche Probleme hinzu. 20 Nationalitäten sind auf dem Gelände vertreten, 25 Sprachen werden gesprochen. Einige der Jugendliche haben die 20 längst überschritten und wurden vom Arbeitsamt zu einer Qualifizierungsmaßnahme geschickt. Andere kommen aus der Psychiatrie oder dem Gefängnis. Eine explosive Mischung. Dennoch ist die Stimmung friedlich. "Es geht mir so gut wie noch nie in meinem 44-jährigen Leben", sagt Tom, der nach acht Jahren Arbeitslosigkeit, 25 Jahren Drogen und neun Monaten Haft heute eine Umschulung macht.

Mike und Nikolos sind bereits im zweiten Lehrjahr. Die beiden Rehabilitanten von der Förderschule machen eine Ausbildung zum Fahrradmonteur. (Foto: Foto: Fischhaber)

"Mit der Zeit lernen die meisten ihren Beruf lieben"

Im ersten Jahr sei es oft schwierig die Lehrlinge zu motivieren, erzählt Anleiter Stefan Ostermeier. Schlüsselqualifikationen wie Pünktlichkeit seien vielen fremd. "Mit der Zeit lernen die meisten ihren Beruf lieben. Wenn sie dann im zweiten Jahr einfache Aufträge auch alleine ausführen können, steigt das Selbstvertrauen - und damit die Motivation." Die Kunden bekommen wenig davon mit. Zwar müssen sie auf ihr Auto manchmal etwas länger warten, teurer als andere Werkstätten ist A24 aber nicht.

Das Unternehmen erwirtschaftet nur ein Drittel der Einnahmen selbst, den Rest schießen Arbeitsamt und Stadt dazu. Dafür haben die Meister mehr Zeit, während einer Reparatur die Zusammenhänge am Fahrzeug zu erklären. Der Stoff der Berufsschule wird in zusätzlichen Theorieeinheiten gepaukt bis ihn auch der letzte Azubi verstanden hat.

Neben den fachlichen Anleitern arbeiten Sozialpädagogen mit den Jugendlichen. Es gibt gemeinsame Ausflüge, Bewerbungs- und Sozialtrainings - derzeit wird nach der Arbeit geboxt, um das Selbstbewusstsein zu stärken. "Gerade ist wieder einer unser Azubis obdachlos geworden", erzählt Pädagogin Doris Bachmann von ihrem Alltag mit den Lehrlingen. In einem anderem Fall habe sich herausgestellt, dass die Mutter eines Azubis Multiple Sklerose hat und im Rollstuhl sitzt. "Morgens musste er sich als erstes um sie kümmern und kam deshalb häufig unpünktlich. Lange Zeit schämte er sich, uns das zu erzählen. Inzwischen hat er seine Ausbildung erfolgreich beendet."

Auch Mike und Nikolos stehen kurz vor dem Abschluss. Die beiden gehören zur Gruppe der so genannten Rehabilitanten, die von der Förderschule kommen. Bei A24 machen sie eine verkürzte und theorieverminderte Ausbildung zum Fahrradmonteur. Dass sie die Lehre durchhalten, daran hätte vor zwei Jahren kaum einer geglaubt. Inzwischen schrauben sie selbstständig an Fahrrädern und Rasenmähern herum. Geschickt stellt Mike einen Lenker wieder richtig ein - und träumt dabei von der nächsten Ausbildung, diesmal am Motorrad. Mike hat es geschafft, wie Tarek und Tom auch. Ein Traum ist erreichbar geworden.

A24, Aidenbachstraße 36, München, mehr Informationen unter www.a24.de

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: