Münchner Musikszene 2009:Der neue Sound of Munich

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Die Welt tanzt zu bayerischen Elektro-Beats von Schlachthofbronx und auch der Münchner Hip-Hop zeigt sich hellwach: Das war 2009 in der Musikszene los.

Kaline Thyroff

Wer sich 2009 getraut hat, große Teile seiner Zeit in Tonstudios, Probenräumen und Labelbüros zu verbringen, wird dazu von keinem Karriereberater ermutigt worden sein. Die Sache mit der Krise war auch dieses Jahr ein Thema - wer heutzutage noch auf Musik setzt, muss verrückt sein. Oder sich von seinem naiven Glauben ans Glück nicht abbringen lassen. Oder Musik ohnehin aus anderen als kommerziellen Gründen machen. Es ist bemerkenswert, wie viele spannende Platten 2009 in München produziert wurden - teilweise im Stillen, teilweise unter Beifall aus der ganzen Welt. Stillstand? Von wegen!

Der wohl erfolgreichste Musik-Export Münchens in diesem Jahr: Schlachthofbronx (Foto: Foto: oh)

Das Münchner Compost Label feierte heuer seinen 15. Geburtstag und bewies bei einer rauschenden Jubiläumsparty in der Muffathalle, dass noch genug Leidenschaft für viele weitere Labeljahre übrig ist. Mathias Modica, Mitinhaber der anderen Münchner Labelinstitution "Gomma", stieg dieses Jahr bei der Hamburger Band Die Sterne ein und half ihnen mit seinem Disco-Sound gekonnt in ein neues Gewand - nachzuhören auf der "Riss-EP" der Sterne (Gomma).

Disco-Zombies und rauer Jazz

Florian Senfter alias Zombie Nation, der sich vor zehn Jahren mit seinem großen Hit "Kernkraft 400" weit über München hinaus einen Namen machte, hat dieses Jahr sein viertes Album veröffentlicht. Dabei hat er nicht versucht, ein neues "Kernkraft 400" zu produzieren, das damals sogar zur weltweiten Hymne in Fußballstadien wurde. Er hat sich Zeit genommen, sich in seinem neuen Schwabinger Studio weiterentwickelt, viele echte Instrumente benutzt und überrascht: Auf "Zombielicious" (erschienen auf UKW) hat auch Zombie Nation den Disco Sound für sich entdeckt.

Höchste Zeit wurde es 2009 für Christoph Doepke alias Dusty. Nach jahrelanger Arbeit bei seinem Label "Jazz & Milk", regelmäßigen Clubabenden in München und DJ-Gigs bis nach New York, hat er endlich seinen ersten eigenen Longplayer veröffentlicht. Auf "Keep It Raw" (Jazz & Milk) arbeitet er sowohl mit Samples als auch mit live eingespielten Instrumenten, frei nach dem Motto: "Was mir gefällt, muss drauf". Da ist Jazz, da sind Funk und Soul und da sind Breakbeats, zusammengefügt zu einem runden Album, das auch seinem Titel treu bleibt: Das Bisschen Ungeschliffenheit an Dustys Sound macht das ganze nur noch schöner.

Auch die Münchner Hip-Hopper gingen ihren Weg - in unterschiedlichste Richtungen, doch dabei jeder für sich nie dem Mainstream, sondern vielmehr seiner eigenen Nase folgend. "Yo! Hip-Hop hat mein Leben zerstört", hat der Münchner Juse Ju sein Debutalbum genannt (erschienen bei Highproductions & Popbizenemy), als ironische Anspielung auf die Bedeutung, die die Musik für ihn einnimmt.

Als selbsternanntes Bindeglied zwischen Blumentopf und Aggro Berlin mag er Sozialpädagogen und Lehrer schon das Fürchten gelehrt haben. Wer sich sein Album aber einmal mit mehr als nur einem Ohr anhört, merkt schnell: Juse Ju ist tatsächlich höchstens zur Hälfte Gangster. Und auch das nur, um alle möglichen Hip-Hop-Stimmungslagen zu erzählen, hochzunehmen und zu feiern. Das wiederum tut er mit so viel geistreichem Wortwitz, dass es eine Freude ist.

Für die düstere Seite des Münchner Hip-Hop stehen seit Jahren 88: Komaflash mit ihrem unheimlichen, melancholisch bis wütenden Sound. So experimentell klingt deutscher Hip-Hop selten. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Band in Japan mehr Platten verkauft als in Deutschland. Wer aber eine Institution des Münchner Undergrounds kennenlernen möchte und hören, was im Hip-Hop alles möglich ist, der sollte sich noch einmal ihr sehr ambitioniertes, dieses Jahr erschienenes Album "Untergang/ Wiederaufbau" (Quiet Records) vornehmen.

Klassischer ist es dieses Jahr Fiva angegangen. Auch sie gehört seit zehn Jahren zur Münchner Hip-Hop-Szene und hat dort vor allem als großartige Geschichtenerzählerin ihren Platz gefunden. Auf Fivas 2009er Album "Rotwild" (erschienen auf ihrem eigenen Label Kopfhörer Recordings) geht es um das Erwachsenwerden, um Heim- und Fernweh und das Leben fernab von Hip-Hop-Klischees. Kombiniert mit zurückgelehnten Beats und Soul-Samples, besinnt sie sich damit auf die traditionellen Zutaten des Hip-Hop, die so stimmig sein können, mittlerweile im deutschen Hip-Hop aber selten geworden sind.

Und dann wäre da noch das Hip-Hop-Trio Doppel D. Mittlerweile in München zu Hause, aber ursprünglich aus Niederbayern, rappen sie, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, nämlich auf Bairisch. Wie erstaunlich gut das gehen kann, wenn Titel wie "Watschnbaam" oder "Schaust guad aus" über frische Beats und Haindling-Samples gerappt werden, beweisen Doppel D auf ihrem neuen Album "B-aya-N" (Eigenvertrieb).

Schlachthofbronx bringt die Welt zum Staunen

Wie gut Bayerisches in hippen Stadt-Clubs funktionieren kann, hat dieses Jahr wohl niemand besser vorgemacht als die Münchner Schlachthofbronx. Zusammen mit ihren Kollegen von der Blaskapelle G. Rag und die Landlergschwister haben sie den bassigen Blasmusik-Elektro-Track "Schorschl Take 3" gebastelt, auf den dieses Jahr von München bis Johannesburg fast auf der ganzen Welt getanzt wurde.

Der Song ist Teil des selbstbetitelten Schlachthofbronx-Debüts (erschienen bei Disko B), das als die größte Münchner Musiksensation des Jahres gewertet werden darf. Was die Schlachthofbronx-Kerle ihren Eltern nicht anders erklären können als als "lächerlichen Rumms-Bumms mit Einflüssen aus der ganzen Welt, zu dem die Leute schreien und wir auch", ist ein unglaublich verschwitzter Bass-Sound, der keine kulturellen Grenzen kennt und sogar den Soundentdecker Diplo schon zum Staunen gebracht hat.

Morgen sind Schlachthofbronx Teil der großen Silvesterparty in der Muffathalle (Beginn 21 Uhr, Zellstr. 4), 2010 werden die Auftrittstermine dann wieder per Mittel- bis Langstreckenflugzeug angesteuert. Nicht nur der Schlachthofbronx-Tourplan verspricht: Auch nächstes Jahr wird die Münchner Szene nicht stillstehen.

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