Münchner Künstler:In aller Stille

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Heinz Butz gehört nicht zu den Lauten seiner Zunft. Auch mit 94 Jahren geht er täglich ins Atelier und arbeitet mit konzentrierter Beharrlichkeit an seiner Kunst

Von Franziska Gerlach

Da sind sie also, Heinz Butz und seine irritierend junge Hand. In sicherem Bogen führt sie den Buntstift über ein Stück Papier, 20 auf 20 Zentimeter. Eine geschmeidige Bewegung, die man dem 94-Jährigen leicht als Eleganz auslegen könnte. Auch als Leichtigkeit. Doch dann würde man Heinz Butz und seine Kunst wohl missverstehen.

"Mein Ein und Alles" nennt Heinz Butz den schlichten Holztisch, an dem er schon als Dozent in der Akademie der Bildenden Künste in München gearbeitet hat. (Foto: Stephan Rumpf)

Eleganz. Leichtigkeit. Erfolg, der einem einfach so zufliegt - das sind Worte für Menschen, die gerne in der ersten Reihe stehen. Und Heinz Butz, der von 1967 bis 1991 an der Akademie der Bildenden Künste in München lehrte, sitzt nun einmal lieber hier, an seinem Holztisch in seinem Atelier in der Maxvorstadt, und tut, was er seit vielen Jahren tut: Er zeichnet, pinnt das fertige "Blatt" danach zu einer Reihe anderer an die Wand, zeichnet, isst mittags ein Brot mit einem Stückchen Käse. Dann zeichnet er wieder, füllt seine quadratischen Blätter mit Formen und Farben, die er einer schier unerschöpflichen Quelle an Kreativität entnimmt, irgendwo tief in ihm drin. Doch wo genau die sich befindet oder woraus sie sich speist, das kann er nicht sagen. "Aber ich habe dauernd das Bedürfnis zu zeichnen", sagt Butz. "Und glücklicherweise habe ich eine Frau, die Verständnis für meine Eigenarten hat."

Viel über den Künstler mit dem forschenden Blick eines Botanikers erzählt der behutsame Filmessay "Eremit am leeren Tisch" von Bernt Engelmann und Gisela Wunderlich. (Foto: Stephan Rumpf)

Hobby-Botaniker, Ehemann, Vater, Großvater, Dozent, natürlich Künstler und obendrein ein Mensch, der selbst die Zeit als Kriegsgefangener nicht missen möchte, wie er an diesem Dezembermorgen erzählt. Obwohl er sich in dem russischen Arbeitslager so schwer am Bein verletzt hatte, dass er 17 Wochen im Lazarett liegen musste. Doch Butz sagt: "Man ist dort den Menschen begegnet, wie man ihnen hier auch begegnet." Geröstete Sonnenblumenkerne hätten die Aufseher des Arbeitslagers in ihren Manteltaschen gehabt. Und ihm und den anderen Gefangenen hin und wieder davon abgegeben. Es sind Sätze wie diese, die aufhorchen lassen. Die eine diffuse Faszination freisetzen und neugierig machen auf das Innenleben des Mannes mit dem festen Blick und den weichen, beinahe faltenfreien Händen.

Nun ist ein Filmessay über Heinz Butz erschienen. Es trägt den Titel "Eremit am leeren Tisch" und ist eine Arbeit von Bernt Engelmann und Gisela Wunderlich, die bereits mehrere Künstler porträtiert haben. In der Dokumentation über Butz, der viele Jahre den Aktsaal an der Akademie der Bildenden Künste in München betreute, kommen Familienmitglieder und Schüler des Künstlers zu Wort, aber auch Galeristen und Kunsthistoriker.

Der Film zeigt einen Menschen, der seine eigene Bildsprache entwickelt hat. (Foto: Stephan Rumpf)

Jeder steuert Gedanken bei zu dem Menschen, der 1925 in Dillingen zur Welt kommt und in Augsburg aufwächst. Setzt das Puzzleteil behutsam an die richtige Stelle der Biografie. Und es ist den Filmemachern nur zu danken für ihre umsichtige Erzählweise, die langsame Entwicklung des großen Ganzen: Butz' Werk, dessen Wert erst Mitte der Achtzigerjahre von einem Münchner Galeristen entdeckt und der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Seine Liebe zur Kunst, die eng verwoben ist mit jener zur Natur. Und dieser nahezu heilige Ernst, mit dem er sich beiden zu nähern weiß.

Die Kunst von Butz ist vielseitig. (Foto: Stephan Rumpf)

Leicht macht er es sich dabei nicht: Butz setzt sich mit der Welt um ihn herum auseinander, seziert und analysiert sie regelrecht. Sortiert, liest, erstellt chronologische Listen mit Künstlern, deren Werke er schätzt. Eingehend hat er sich etwa mit Paul Cézanne und Paul Klee beschäftigt, mit Wassily Kandinsky, Franz Marc, mit ihren Lebensgeschichten, ihrer Pinselführung, dem Aufbau ihrer Bilder. Mehr noch: Er traute sich sogar, diese zu imitieren, etwas, was in der bildenden Kunst mit ihrem Hang zum Individualismus ja eher belächelt wird. Doch Nachahmung beinhaltet immer auch ein Kompliment, und im Fall von Butz gesellt sich noch die tiefe Überzeugung hinzu, dass Kunst studierbar ist. Eine Arbeit wie jede andere auch.

"Bei mir ist es primitiv", sagt Butz und knipst das Licht im Flur des Ateliers an. Eine Wand mit Büchern über Kunst und Künstler aus aller Herren Länder, die meisten davon hat er gelesen. Rechts davon das Atelier: In der Mitte des Zimmers befindet sich der schlichte Holztisch, an dem er schon als Dozent in der Kunstakademie gearbeitet hat, "mein Ein und Alles". Seine Buntstifte hält er mit einem Gummiband zusammen, im Regal stehen seine Skizzenbücher, noch und nöcher, auf dem Fenstersims kleine Skulpturen. Butz fertigt sie aus Gegenständen, die andere entsorgen würden. Dosen, Glühbirnen, Kronkorken. Er geht durch den Raum, greift nach einem Blatt Papier, auf dem er ein Eichenblatt befestigt hat. Zärtlich fährt er mit dem Finger die sanften Rundungen nach, die Konturen eines Blattes, das der Herbstwind von einem Münchner Baum geweht hat.

Der mittlerweile 94-Jährige besucht nach wie vor täglich sein Atelier. (Foto: Stephan Rumpf)

Heinz Butz wollte eigentlich Botaniker werden, doch über das Vermessen und Abzeichnen der Blätter, Pflanzen und Blüten, über ihre dünngerillten Strukturen und feingezackten Ränder wächst in ihm der Wunsch, Kunst zu studieren. Nach einigen Semestern an der Kunstschule in Augsburg wird er in München angenommen, wo er auch seine Frau Annsi Butz kennenlernt. Er studiert zwei Semester bei Walter Teutsch und zehn bei Franz Nagel, bekannt für seine eindrucksvollen Kirchenmalereien. Großartige Lehrer seien das gewesen, sagt Butz. "Die haben einen wachsen lassen."

Es sind die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, und während der 94 Jahre alte Künstler erzählt, ruhig und sachlich, stehen die Bilder plastisch im Raum: Wie der junge Heinz Butz, der damals noch in Augsburg wohnt, am Münchner Hauptbahnhof aus dem Zug steigt und vorbei an zerbombten Häusern zur Kunstakademie läuft. Trümmerhaufen und eine erstarrte Kulturlandschaft, das Nachkriegs-München bot Butz und seinen Kommilitonen wohl kaum Inspiration. Die Nationalsozialisten hatten jegliche Avantgarde zum Erliegen gebracht, jeden noch so kleinen Ansatz von Progression in der Kunst als entartet denunziert. Doch wo nichts ist, kann andererseits viel entstehen. Und Butz versteht es, sich diesen Freiraum anzueignen, der da wie ein weißes Blatt Papier vor ihm liegt, besetzt ihn mit etwas Eigenem.

Grafische Arbeiten von Heinz Butz in seinem Atelier, die Graphische Sammlung in der Pinakothek der Moderne befasst sich ebenfalls mit seinem Werk. (Foto: Stephan Rumpf)

Anfangs noch dem Gegenständlichen verbunden, löst sich Butz später von den Hausdächern oder Bäumen, wie er sie noch 1953 beim Blick aus dem Fenster malt - das Gemälde hängt heute in seinem Atelier. Mit seinen farbig lackierten "Objekten" aus dünnen Holzplatten, deren Formen oft von der Natur inspiriert zu sein scheinen, nähert er sich später der Skulptur. Und doch sind es insbesondere die Skizzenbücher, die sein Wesen offenbaren. Seitenweise hat er geometrische Formen gezeichnet, manchmal dienten ausgerissene Papierfetzen als Vorlage, manchmal die reine Vorstellung von Linien, Punkten und Zacken, die ihre Kraft insbesondere am Rand entfalten. Nicht das Ergebnis eines flüchtigen Strichs, sondern konzentrierter Übungen mit dem Bleistift - "ein grammatisches Arbeiten", wie Butz das nennt. Als er selbst noch lehrte, zeichnete er im Übrigen gemeinsam mit seinen Studenten. Er korrigierte sie allerdings nie. "Sonst stülpt man ja etwas über sie drüber", sagt Butz. Nehme ihnen die Möglichkeit, sich frei zu entwickeln. Vielleicht fasziniert dieser Mann gerade deshalb so sehr, weil er sich diesen Freiraum stets bewahrt hat. Und etwas gefunden hat, was ihn wirklich packt. Was ihn antreibt und beflügelt. "Man kann ein Leben lang zeichnen", sagt Butz, "und kommt dennoch nicht an."

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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