Münchner Independent-Projekt:Filmmusik ohne Film

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Posaunist und Komponist Mathias Götz ist in diversen Projekten aktiv, etwa bei der "Hochzeitskapelle". (Foto: Ella Limbrunner)

Mathias Götz alias Le Millipede und seine multimediale "Legs"-Serie

Von Jürgen Moises, München

Hat Filmmusik nur eine begleitende, die Bilder unterstützende Funktion, oder macht sie auch selber etwas sichtbar? Ruft sie als vom Film getrennter Soundtrack nur die gesehenen Filmszenen wieder hervor, oder weckt sie auch davon unabhängige Gefühle oder Bilder? Das Besondere an den Film-Musik-Stücken von Le Millipede alias Mathias Götz ist auf jeden Fall schon mal, dass sie ohne zugehörige Filme entstanden sind. Das heißt, es gibt zu jedem der bisher sieben, unter www.lemillipede.bandcamp.com auffindbaren Stücke zwar eine filmische Verknüpfung. Nur wird sie auf der Website durch Texte von Pico Be alias Federico Sánchez hergestellt. Der Musiker, Autor und Filmkritiker war von Götz gebeten worden, "kleine Filmgeschichten" zu diesen zu erzählen. Mit der Folge, dass aus ihnen nun Soundtracks zu Filmen wie "Die Werckmeisterschen Harmonien" von Béla Tarr oder "Der Holzschuhbaum" von Ermanno Olmi geworden sind.

Das sind jedenfalls zwei der Filme, die Pico Be beim Anhören der mit "1st Leg", "2nd Leg" und so weiter betitelten Stücke einfielen. Und die er nun anhand ihres Inhalts, einzelner Szenen oder darüber hinaus gehender Gedanken beschreibt. Weitere Filme sind etwa "Der Geist des Bienenstocks" von Victor Erice oder "Arbeiter verlassen die Fabrik" von Harun Farocki, der sich wiederum auf den berühmten Kurzfilm "Arbeiter verlassen die Lumière-Werke" von den Brüdern Lumière bezieht. Ausgehend von den meist nur zwei oder drei Minuten dauernden Instrumentalstücken, die sehr spielerisch Elektronik, Posaune, Percussion, Samples und Stimme kombinieren, tut sich damit ein weiter (film)historischer Kontext auf. Von der italienischen Provinz im Bergamo des 19. Jahrhunderts bis zum Pariser Mai 1968, von deutschen Fassmachern im Mittelalter zum Bienenzüchter in einem kastilischen Dorf.

"Ich wollte mich mit der Reihe als Filmmusikkomponist im Universum bewerben." Das sagt Mathias Götz über die etwas "vermessene" Grundidee der Serie, von der seit vergangenem Dezember alle paar Wochen ein neuer "Leg", ein neuer "Tausendfüßlerfuß" erscheint. Angeregt habe ihn dazu der Bestseller "Bestellungen beim Universum", in dem es heißt, dass Wünsche sich nur dann erfüllen, wenn man damit "bereits Bestehendes" ausbaut. Anstatt sich etwas völlig anderes, fernes zu wünschen. Das Bestehende sei in dem Fall die preisgekrönte Filmmusik, die er als Posaunist zusammen mit der Hochzeitskapelle für den Film "Wackersdorf" (2018) geschaffen hat. Oder die Musik vom ersten Le-Millipede-Album, die man in der Dokumentation "Der Kinomann" (2020) hört. Die daraus folgende Idee war dann: "Musik zu schaffen, die wiederum für den nächsten Film verwendet werden kann." Bis dahin kann man über die Musik nun cineastische Meisterwerke wie "Der Holzschuhbaum" neu oder vielleicht auch zum ersten Mal entdecken. Oder angeregt durch Musik und Texte im Kopf seinen eigenen Film drehen.

Eine weiterer Anstoß dazu könnten auch die Single-Cover sein, welche die Münchner Künstlerin Elisabeth Forster gemalt, fotografiert oder genäht hat und die ebenfalls zur "Legs"-Serie gehören. Ihre ähnlich spielerischen, teils abstrakten, teils gegenständlichen Bilder zieren die jeweiligen Bandcamp-Seiten und die Cover der gepressten Vinyl-Unikate, die es auch noch zu jedem Stück gibt. Diese Unikate werden laut Götz an befreundete Musiker, Künstler oder Hörspielmacher wie G. Rag, Markus und Micha Acher, Inga oder Andreas Ammer verschenkt. "Als Dankeschön, als Motivation für gemeinsame weitere Projekte". Oder vielleicht auch einfach als ein Angebot, um im Gespräch zu bleiben, in einer Zeit, in der Götz' letzte Live-Auftritte zwei Beerdigungen (mit dem Duo Funerale) und ein Weihnachtskonzert (mit der Unterbiberger Hofmusik) waren. So wie ein musikalischer Fuß, den man bei anderen in die Tür stellt.

Le Millipede: Legs-Serie , zu finden im Netz unter lemillipede.bandcamp.com

© SZ vom 08.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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