SZ-Serie: Bühne? Frei!:Völlig konfus

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Nicolai Sarafov, Jahrgang 1944, hatte an der Würzburger Fakultät Gestaltung den Lehrstuhl Illustration und Buchgestaltung inne. Sein Werk (rund 130 Einzelausstellungen) prägt die Wissenschaft des "Bagonalismus", die anstrebt "den Verlust an Heiterkeit zu reduzieren". (Foto: Gabriela Greess)

Kultur-Lockdown, Tag 135: Der Künstler denkt über den Mensch und sein Getue nach

Gastbeitrag von Nicolai Sarafov

Ich wohne in der Schellingstraße. Mein Atelier, das "Institut für Bagonalistik", befindet sich in der Görresstraße. Anders als in Zeiten der großartigen Vielfalt, begebe ich mich jeden Morgen brav mit Maske dahin. Noch schnell in der kleinen Bäckerei von Frau Michl vorbei und dann mit der täglichen belegte Semmel ausgerüstet, die ziemlich leere Zentnerstraße hoch. Fünf Minuten später schließe ich die Tür meiner Werkstatt auf. Von gelegentlichen, negativ gewerteten Abweichungen abgesehen, ist das Geschilderte mein Ritual. Das absolviere ich seit mehr als einem Jahr, um den Covid-Alltag zu würdigen.

Mein Atelier, mein Reich! Das Virus kann mir den Buckel runterrutschen. Ich schreibe während dieser unberechenbaren Zeit, gestalte und illustriere, hier entstehen meine Bücher. Es sind bibliophile Art-Grafik-Novellen in limitierten Auflagen aus einer längeren Reihe. Meine letzten vier Werke schuf ich im gegenwärtigen Durcheinander des Covid-Alltags. Dessen Absurdität spiegelt sich im aktuellen Titel "Im Garten der Konfusion" (www.bago.net). Im Buch ist aus ganz verschiedenen Blickwinkeln ein verflixtes Phänomen in Text und Bild verpackt: Ja, Konfusion ist allemal eine verhängnisvolle Angelegenheit. Die Menschheit wird von destruktiven Konfusionen heimgesucht. Sie schenkt den abstrusesten Gerüchten Glauben und wird abergläubisch. Nicht selten geraten die Menschen in den Sog der Konfusion. Deren schwindelerregender Strudel reißt auch alle belegten Fakten und Tatsachen mit sich fort.

Im Würgegriff der Konfusion wird die Würde grob befingert und die Eintracht schmerzhaft gestört. Allerorten kommt es zu Ausschreitungen und Tumulten - die seelenlose Konfusion triumphiert über die Gemüter. Paradox genug, dem zu verfallen, was man sich selber eingebrockt hat. Denn an der Konfusion haben nicht Parasiten, Asteroiden, Zauberer oder sonstige Mächte Schuld, sondern das menschliche Getue an sich.

Das Thema Konfusion krönte mein Denken lange vor jeglichen Anzeichen der Corona-Katastrophe. Aber die Zeiten hatten sich plötzlich geändert. Das anfängliche Konzept musste reformiert werden. Also schrieb ich Freunde und mir bekannte Menschen mit gemeinsamer Wellenlänge an, um das Vorhaben mit anderweitigen Erfahrungen und Einfällen zu bereichern. Mehr als 40 Antworten diverser Art unterstützten den Inhalt des Buches. Es handelt von der weisen Schildkröte Tartaruga. Gemeinsam mit meinem Enkel Miron taucht sie als neutrale Beobachterin in eine Konfusion ein. Sie diskutieren, und was schließlich überlebt, ist das Prinzip Hoffnung.

Eigentlich sind die neuen Generationen ihre Träger, denn die Jungen kommen eher auf Gedanken, die gegenwärtig undenkbar scheinen.

Fazit. Die Einsamkeit hält es bei mir nicht lange aus.

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© SZ vom 16.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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