SZ-Serie: Bühne? Frei!:Die Hütte brennt

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Der Schriftsteller Leonhard F. Seidl wurde 1976 in München geboren. Zuletzt erschien sein Schelmenroman "Der falsche Schah" im Volk Verlag München. (Foto: Kathrin Heim)

Kultur-Lockdown, Tag 96: Der Schriftsteller blickt in die Zukunft

Gastbeitrag von Leonhard F. Seidl

"Gleich geht der Rauchmelder los, Alter!", warnt meine Tochter mich. Ich stehe in der Küche, Handy am Ohr und eine Journalistin dran; den Gemüsehobel in der Linken, eine Pastinake in der Rechten. "Gleich", antworte ich meiner Tochter so ruhig als möglich, obwohl sie noch gar keine Frage gestellt hat. Auch mir fällt jetzt auf, dass noch was im Ofen gewesen sein muss, das sich jetzt in Rauch aufgelöst hat. Also beende ich das Telefonat möglichst charmant und öffne das Fenster. "Papa, wir sollen uns für die Schule überlegen, welche Ziele wir für dieses Jahr haben."

Jede zweite Woche bin ich alleinerziehender Papa und Schriftsteller; Homeschooling inclusive. Darum kann ich das sexistische "Männer können kein Multitasking" auch gerade nicht hören. Wir Schriftsteller und Schriftstellerinnen sind es gewohnt, für die Zukunft zu arbeiten, in der Literatur nennt man dies eine Prolepse, eine Vorwegnahme. Derzeit schreibe ich an einem Roman, der im Frühjahr 2022 erscheinen wird, recherchiere dafür bereits seit fünf Jahren. Zwar gab es einen Vorschuss, aber die Tantiemen, laut Normvertrag üppige acht Prozent vom Nettoladenverkaufspreis pro Buch, erhalte ich erst im Juni 2023.

Die Lesungen aus dem neuen Roman, die für mich und die meisten Kollegen und Kolleginnen mit die wichtigste Einkommensquelle darstellen, werden ebenfalls erst nach der Veröffentlichung stattfinden. Außer: Lockdown. Wie gerade. Mein fünfter Roman ist Ende letzten Jahres erschienen, Lesungen gibt es also nur online und bei weitem nicht so zahlreich wie sonst. Glücklicherweise kommt das Antragsformular für die Corona-Hilfen der Bundesregierung für den Zeitraum Dezember 2020 bis Juli bereits im März 2021. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, auch wenn es sich bei meinem aktuellen Roman um einen Schelmenroman handelt. Wann das Geld ausgezahlt wird, steht noch nicht einmal in den Sternen, dort gähnt ein schwarzes Loch.

Per aspera ad astra? Pappnase! Denn bis das Geld da ist, werden sich auch der Kettenkapitalistenbäcker und der Kurde meines Vertrauens nicht ans Anschreibenlassen gewöhnt haben.

Aber zurück zu meiner Tochter und der verqualmten Küche. Als Teilzeit-alleinerziehender Papa genieße ich die Zeit mit ihr und meinem Sohn unbändig. Ähnlich intensiv wie während meiner zweijährigen Elternzeit, als sie noch Hosenscheißer und Hosenscheißerin waren. Die letzten zwölf Jahre dagegen war ich der Haupternährer, ständig auf Lesereise oder unter Strom, 60-Stunden-Woche oder mehr, um den Kühlschrank zu stopfen und ein emanzipierter Papa zu sein.

Da nehme ich die derzeitigen Kollateralschäden wie Dampfbad in der Küche und Dialoge meiner Tochter mit meinem "Alter"-Ego gerne in Kauf. Denn die intensive Zeit, die wir zusammen erleben, ist wie in der Schriftstellerei eine Handreichung in die Zukunft, nur zwischen meinen Kindern und mir. Und diesem feuerfesten Band kann dann auch eine brennende Hütte nichts anhaben. Meine Tochter hat übrigens das Ziel, dass alles so bleibt wie im vergangenen Jahr.

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© SZ vom 05.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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