München/Freimann:"Wir werden zusammenrücken müssen"

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Die Freimanner Bevölkerung sieht dem erwarteten Zuzug in München mit großer Sorge entgegen. Schlüssige Antworten auf die zahlreichen offenen Verkehrsfragen können selbst Stadtplaner derzeit nicht geben

Von Stefan Mühleisen, München/Freimann

Es dauert keine zwanzig Minuten, da bricht sich die spezielle Freimanner Verbitterung Bahn. Immer mehr Besucher stehen auf, sie schimpfen. Bitterkeit schwingt in den Wortbeiträgen mit - und Zorn. Der spezielle Freimanner Groll schwelt schon seit Jahrzehnten - seit im Lebensraum der Anwohner alles abgeladen wird, was der übrigen Stadtgesellschaft zuwider ist: Müllberg, Kläranlage, riesige Gewerbegebiete, ein Stadion mit wöchentlichem Verkehrschaos - und jetzt auch noch: riesige Neubaugebiete. Es sind Freimanner jenseits der 50, die in der Gaststätte "Zum Maibaum" ihrem Ingrimm darüber Luft machen, dass der Münchner Norden ein Abonnement auf alles zu haben scheint, was stinkt und lärmt. "Unserem Stadtteil wird die Luft abgewürgt", empört sich eine Frau, eine andere prophezeit: "Es wird zu einem Verkehrsinfarkt kommen, wenn ihr keine Lösung findet."

Mit "ihr" ist die Stadt im Allgemeinen und das Planungsreferat im Besonderen gemeint. Angesprochen fühlen darf sich an diesem Abend Michael Hardi, in der Behörde Leiter der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen. Er ist auf Einladung der Freimanner SPD gekommen. Die Genossen wollen bei dieser Veranstaltung über die Freimanner Stadtentwicklung sprechen, insbesondere über die großen Neubaugebiete auf den Flächen der ehemaligen Flint- und Bayernkaserne sowie über die Erweiterungspläne von BMW an der Lilienthalallee. Gut 30 Besucher sind gekommen, es wird deutlich: Große Teile der Freimanner Bevölkerung sehen der Stadterweiterung im Münchner Norden mit ebenso großer Sorge entgegen. Die Bürger haben Angst, dass sie allmählich erdrückt werden, und sie fürchten, dass dies über ihren Kopf hinweg geschieht. Behörden-Mann Hardi zeigt an diesem Abend großes Verständnis für den Argwohn der Freimanner. Und er wirbt um Vertrauen. "Wir haben noch kein Verkehrskonzept, ich gebe es zu. Aber wir werden die Ergebnisse der Gutachten die nächsten Jahre nicht vor ihnen verstecken."

So recht glauben mag in dem Nebenzimmer des Wirtshauses jedoch kaum jemand, dass es überhaupt eine verträgliche Lösung geben kann. Einige Besucher lassen durchblicken, dass sie den Stadtraum mit dem neuen Domagkpark-Quartier ohnehin schon an der Grenze des Belastbaren sehen. Auf dem Areal zwischen Frankfurter Ring und Domagkstraße werden gerade 1600 Wohnungen für 4000 Menschen hochgezogen, die ersten Bewohner sind bereits in Blöcke der Gewofag eingezogen. Unterdessen laufen die Vorbereitungen für die Erschließung der Bayernkaserne an der Heidemannstraße an; auf dem 48 Hektar großen Gebiet sollen gut 10 000 Menschen ihre neue Heimat finden. Zugleich überlegt BMW gerade, an der Lilienthalallee ein neues Firmen-Subzentrum mit 4500 Mitarbeitern zu errichten. Nördlich davon wird bald ein Baumarkt in die riesige Halle des ehemaligen Bundesbahn-Ausbesserungswerks einziehen; in dem restlichen Gebäudekomplex soll ein Oldtimer- und Sportwagen-Zentrum unterkommen. "Wir im Münchner Norden bekommen alles aufs Auge gedrückt", beschwert sich eine Besucherin. Es sei ja schön, dass so viele Wohnungen und Arbeitsplätze entstünden. "Aber Lebensqualität haben wir dann keine mehr in Freimann."

Behörden-Emissär Hardi zeigte sich hingegen zuversichtlich, dass die Verkehrslast in Grenzen gehalten werden kann - gerade, was die Erschließung des Bayernkasernen-Areals betrifft. Nach seiner Rechnung werde die Belastung auf der Heidemannstraße nur um drei Prozent steigen. Dem widerspricht Walter Hilger, Vorstand der Siedlerschaft Kieferngarten, vehement. "Es wird eine Verdoppelung geben", sagt er und zitiert aus einer Verkehrsanalyse, die Vertreter von BMW kürzlich im Bezirksausschuss vorgestellt hatten. Diese prognostiziert 45 000 Fahrzeugbewegungen auf der Heidemannstraße im Jahr 2030; derzeit seien es bis zu 18 000. "Zudem wird jede Minute eine Trambahn die Straße kreuzen. Wie soll das gehen?"

Eine dezidierte Antwort kann ihm Michael Hardi vom Planungsreferat an diesem Abend nicht geben. Er gibt sich aber dennoch betont gelassen. "Wir können nicht alles gleichzeitig machen", appelliert er an die Geduld der sichtlich frustrierten Freimanner Besucher. Wohl erst 2018 werde der Bebauungsplan für die Bayernkaserne fertig sein, "vorausgesetzt, wir kriegen das mit dem Verkehr hin". Hardi gibt jedoch zu verstehen, dass die Freimanner nicht umhin kommen werden, sich auf neue Zumutungen einzustellen. Bis 2030, so referiert Hardi, werde München auf mehr als 1,7 Millionen Einwohner wachsen. "Wir werden enger zusammenrücken müssen."

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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