Bellevue di Monaco:Matthias Weinzierl ist der Mann für mehr Menschlichkeit

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"Heimathafen statt Ankerzentren" steht auf dem T-Shirt von Matthias Weinzierl. (Foto: Corinna Guthknecht)

Seit Jahrzehnten setzt er sich für Geflüchtete ein - zuletzt als Projektleiter von Bellevue di Monaco. Diese Aufgabe gibt er jetzt weiter und will wieder nur als Grafiker arbeiten, vorerst zumindest.

Von Thomas Anlauf

Er ist der Mann mit dem Hut. Der ist sein Markenzeichen, man sah Matthias Weinzierl damit auf den Sommerfesten des Bellevue di Monaco, auf Großdemonstrationen für Toleranz und gegen Rassismus, einst bei Aktionen der Goldgrund-Aktivisten um Till Hofmann und Grisi Ganzer, als die Gruppe mit zahlreichen Prominenten eine städtische Wohnung an der Müllerstraße in ein paar Stunden sanierten. Matthias Weinzierl ist bei solchen Gelegenheiten nicht nur einfach dabei, sondern er hat sozusagen den Hut auf - er ist der Mann für mehr Menschlichkeit in München.

Nun gibt Matthias Weinzierl beim Sozialprojekt Bellevue di Monaco den Hut als Projektleiter ab, Ende Juli hört der 47-jährige Mann aus Schwabing dort offiziell auf. Den Hunderten Ehrenamtlichen, die sich seit Jahren für Geflüchtete engagieren und das Wohnhaus für Flüchtlinge und all die Angebote ermöglicht haben, hat er bereits einen Abschiedsgruß geschickt. "Nach insgesamt fünf verdammt spannenden Jahren hier mit Euch im Bellevue werde ich meine Stellung als Projektleiter zum Ende Juli 2019 aufgeben", schreibt Weinzierl. Seine Entscheidung habe nichts mit dem gemeinsamen Projekt Bellevue zu tun, "von dem ich immer noch überzeugt bin, dass uns da etwas verdammt Feines gelungen ist".

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Matthias Weinzierl steht mit einer Tasse Kaffee in seiner kleinen Küche, am Abend zuvor hat er mit Hunderten Münchnern und Geflüchteten im Bellevue und in der Glockenbachwerkstatt den Weltflüchtlingstag gefeiert. Solche Ereignisse berühren ihn zutiefst, wenn er sieht, wie Menschen, die nach München geflohen sind, wieder lachen können, sich befreit fühlen von Not und Unterdrückung, Gewalt und Verfolgung. "Da merkst du, wie sie auch ihr Selbstbewusstsein zurückbekommen", sagt er. Wenn man den Menschen das Gefühl geben könne, dass sie etwas Besonderes sind, "dann ist das doch toll".

Man muss schon etwas zurückblicken, um diese große Empathie zu begreifen, die Wut auf Ungerechtigkeit, den Willen, die Welt ein wenig menschlicher zu machen. Matthias Weinzierl engagierte sich früh in der katholischen Jugend in Schwabing, wo er aufwuchs und auch heute mit seiner Freundin und den beiden Kindern lebt. Damals kamen Zehntausende Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Albanien und kurdischen Gebieten. Die Menschen mussten in Containern hausen, der damalige Kreisverwaltungsreferent Hans-Peter Uhl (CSU) hatte auf Anordnung von Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) ein Containerlager auf der Theresienwiese aufbauen lassen.

Brandanschläge von Rechtsextremen auf Migranten in Hoyerswerda, Greifswald, Rostock, Cottbus, Duisburg und auch zwei Mal in Obersendling in einer Flüchtlingsunterkunft politisierten den jungen Weinzierl. Er gründete als Dekanatsleiter der katholischen Jugend eine Jugendgruppe und richtete eine Teestube ein, um mit Geflüchteten zu diskutieren. Eine spannende, prägende Zeit, so erinnert er sich. In ihm reifte damals die Erkenntnis: Es gibt keine Flüchtlinge. Es sind alles Menschen.

Er fuhr mit Flüchtlingskindern aus Togo, aus Albanien, aus der Türkei einfach raus in die Natur, um ihnen ein bisschen Leichtigkeit zu schenken. Erst vor ein paar Monaten hat er viele von den damaligen Kindern wiedergetroffen, er hatte ihre Namen auf Facebook gesucht - und viele gefunden. Sie sind heute Ärzte, Anwälte, Pfleger, einige leben auch nach Jahrzehnten noch in München. "Das war richtig toll", sagt Weinzierl. Er erzählt voller Freude von dem Wiedersehen mit den ehemaligen Flüchtlingskindern.

Der Geschichte mit der katholischen Jugend war Weinzierl irgendwann entwachsen, er arbeitete dann zunächst beim Münchner Flüchtlingsrat, dann wurde er Geschäftsführer beim Bayerischen Flüchtlingsrat und kämpfte viele Jahre lang für einen menschlichen Umgang mit Asylsuchenden und gegen Abschiebungen. Stephan Dünnwald, der seit 2002 mit ihm im Flüchtlingsrat gearbeitet hat und nun im Vorstand vom Bellevue di Monaco ist, sagt heute: "Er ist einer, der mit viel Empathie zur Sache geht, Empathie für die Betroffenen." Von den schrecklichen Schicksalen der Menschen ist Weinzierl manchmal so mitgenommen, dass ihm die Tränen kommen. Oft sind es aber auch einfach Freudentränen - dann, wenn er sieht, wie Menschen wieder nach der langen Zeit in Flüchtlingsunterkünften wieder aufleben können. Wenn sie etwa im Bellevue di Monaco eine Wohnung beziehen dürfen, obwohl sie befürchteten, dass ihr Schicksal in Deutschland besiegelt ist.

Das Bellevue di Monaco ist auch Weinzierls Kind. "Ohne Matthias wäre das Bellevue so nicht passiert", sagt der Filmemacher Grisi Ganzer, der 2012 mit dem Kulturmanager Till Hofmann, dem Journalisten Alex Rühle und mit vielen Prominenten das Politprojekt "Goldgrund Immobilien" gründete, um auf den Wohnungsleerstand in München aufmerksam zu machen. Weinzierl organisierte spontan Demonstrationen für den Erhalt von Wohnungen in der Pestalozzistraße und eben den drei alten Häusern an der Müllerstraße, die nun von vielen Helfern zum Wohn- und Integrationsprojekt Bellevue di Monaco umgewandelt wurde. "Beim Zauber des Anfangs war Matthias so wichtig", sagt Hofmann, Chef der Lach- und Schieß-Gesellschaft und Vorsitzender von Bellevue. Weinzierl machte einfach, begeisterte in kürzester Zeit Hunderte Helfer, die vorbeikamen und die drei Häuser entrümpelten und sanierten. Matthias Weinzierl erinnert sich: "Es war wie ein großer Abenteuerfilm", sagt er. So etwas "erlebst du nur einmal im Leben".

Das Motto, Geflüchteten eine menschenwürdige Aufnahme in Deutschland zu bereiten, steht für die Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco, die Weinzierl mit ins Leben gerufen hat. (Foto: Robert Haas)

Er war fünf Jahre lang eines der prominentesten Gesichter des Bellevue. Weinzierl organisierte vor drei Jahren mit den Mitstreitern spontan einen Hilfsgüter-Transport für Geflüchtete im griechischen Flüchtlingslager Idomeni, innerhalb von Stunden war der Keller voll mit Kleidung, Windeln, Lebensmittel, Zelten. "Packmos!" nannten sie die Hilfsaktion. Er könne "spontan Leute begeistern und mitreißen und dabei dem Chaos nicht die Form nehmen", sagt Hofmann. "Weinzi", wie Hofmann seinen Freund nennt, "brennt auf der Kurzstrecke der Umsetzung." Die Langstrecke ist hingegen nicht so sehr sein Ding. Und auch nicht die Behäbigkeit des "Riesendampfers", wie Weinzierl das Bellevue-Projekt heute sieht. "Es war cool, die Sache an den Start zu bringen", sagt er heute. Aber er will nun wieder eine Zeit lang in ein Ruderboot wechseln, in seinem Grafikbüro im Westend neue Ideen entwickeln.

Im Bellevue di Monaco übernimmt von August an Agnes Fuchsloch den Job von Matthias Weinzierl als Projektchefin. Die langjährige Leiterin eines Secondhand-und Fairtrade-Ladens in München wird dann eng mit den vielen Ehrenamtlichen zusammenarbeiten, Räume für die Hausaufgabenbetreuung organisieren und Veranstaltungen managen. Ein Job, der nach fünf Jahren nicht mehr unbedingt die Sache von Matthias Weinzierl war. "Es war einmalig, dass man bei so einem Projekt mitmachen kann", sagt er. Aber der 47-Jährige ist einer, der seine Kreativität ausleben muss, am besten ohne Chefs und Festanstellung. "Es braucht genau solche Typen, die aus dem Bauch raus mutig und entschlossen hinlangen, für Solidarität mit Schwächeren kämpfen und gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus einstehen", sagt Till Hofmann.

Das wird Matthias Weinzierl auch weiterhin tun, ehrenamtlich, auch im Bellevue di Monaco, und im Engagement gegen Rassismus. Den Hut, den nun Agnes Fuchsloch trägt, hat er aber symbolisch gerne abgegeben. "Das Schöne ist, wenn ich keinen Hut trage, werde ich nicht so leicht erkannt", sagt er und lacht. Ernsthaft glauben wird er diesen Satz sicherlich nicht. Sein Gesicht steht für mehr Menschlichkeit in München.

© SZ vom 23.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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