Pfanni-Gelände:Der "Graffiti-Hausmeister"

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In der Ära Kunstpark und Kultfabrik durften auf dem früheren Pfanni-Gelände die Graffiti alt werden, im neuen Werksviertel werden viele von ihnen verschwinden. Der Spray-Künstler Loomit aber wird bleiben, er freut sich auf lange Bauzäune und neue Wände

Von Renate Winkler-Schlang

Ob legal oder illegal entstanden, gesprühte Kunst ist vergänglich. Im Amüsierviertel hinterm Ostbahnhof aber durften manche Werke auf den krummen Wänden alt werden, denn ein ums andere Mal wurde diese Zwischennutzung der früheren Pfanni-Fabrik verlängert. Nun ist der Umbau zum Werksviertel in vollem Gang, und sukzessive wird die teils vor Jahren gesprayte Kunst verschwinden, die den Besuchern als Hintergrund für Selfies diente und das Ambiente entscheidend prägte. Mancher mag sich vorgestellt haben, wie die Künstler mit ihren Dosen, getarnt mit dunklen Kapuzenpullis, dort heimlich tätig waren - doch nein: Die Freiluft-Kunst auf Tonnen- und Kassenhäuschen, Hallen und Silos ist kein Zufallsprodukt. Schon Wolfgang Nöth, der Hallenkönig und Pionier der Zwischennutzung, hatte den Sprayer Mathias Köhler eingeladen: "Such dir ein Atelier aus."

Köhler macht ausladende Armbewegungen: Lang gezogen das L, die beiden Os in zwei dicken Reifen versteckt, das M nur angedeutet. Ein I ließ sich auch noch unterbringen in dem schwungvollen, übermannshohen Werk, und rechts erkennt man auch noch das T. Die oftmals geradezu explodierenden Werke des Sprayers und Wandmalers, den man nur unter dem Namen "Loomit" kennt, verbergen stets diese Buchstaben, aus denen er sein Pseudonym komponiert hat - frei nach einer Person, die im Hollywood-Film "Niagara" mit Marylin Monroe vorkommt und Loomis hieß. "Das S kam nicht infrage, also nahm ich den nächsten Buchstaben im Alphabet. Ich wollte einen schwierig zu malenden Schriftzug, damit kein anderer auf dieselbe Idee kommt", erklärt er.

Viele haben sich verwirklicht im Niemandsland zwischen Kultfabrik und Optimolgelände - jetzt eine Sackgasse, die an der Baustelle endet. (Foto: Catherina Hess)

Loomit sitzt in seinem alten Atelier hoch oben auf der Rückseite der alten Zündapp-Halle, die zum Werksviertel gehört, ehemals das Archiv der Zündapp-Werke. Der mittlerweile 48-Jährige erzählt, wie es dazu kam, dass er quasi der Haus- und Hofmaler von Kunstpark und Kultfabrik wurde und nun innerhalb des neuen Werksviertels ins zentrale Werk III umziehen wird. Mit seiner ersten Filzstiftpackung machte er die Tapeten seines Kinderzimmers bunt, später bewunderte er Comics wie Prinz Eisenherz von Hal Foster und zeichnete sie nach. Im Pfadfinderalter besprühte er den Wasserturm seiner Heimatgemeinde Buchloe, nachdem er erfahren hatte, dass man das jetzt so macht in New York. "Dann ging es los", erinnert sich Loomit. Noch vor dem Abi fasste er Fuß in der jungen Münchner Szene, in einer Vorlesung von Professor Peter Kreuzer an der Fachhochschule zur Jugendkultur hatte er die "Kollegen" kennengelernt.

Der Flohmarkt an der Dachauer Straße, auch so eine Zwischennutzung, war 1985 schon der erste legale Platz der Sprayer, erinnert sich Loomit. Die damaligen Pächter beschafften den Verschönerern sogar die Farben. Das Flohmarkt-Publikum kam in Scharen, der Sprayer wurde bekannt, bekam Aufträge, er hatte bald sogar eine Steuernummer. Während seiner Zivildienstzeit durfte er den Kohlebunker und eine Baracke im Bürgerpark Oberföhring bemalen. Überhaupt sei München ein gutes Zeugnis auszustellen, es habe immer legale Möglichkeiten gegeben, der Tiefbau der Stadt zählte geradezu zu den "Mäzenen". Nach einer Weltreise, die er bereits allein von seiner Kunst finanzieren konnte - "ein Bus hier, eine Hotellobby da" - war auch der Mutter klarzumachen, dass er es ohne Studium schaffen würde. "Hey, ich war in New York. If you can make it there, you can make it everywhere."

Loomit (hier in seinem Atelier) arbeitet als Solokünstler. (Foto: Catherina Hess)

Seine Rückkehr fiel in die Zeit, als Wolfgang Nöth den Riemer Flughafen bespielte, schnell kamen sie miteinander klar, die ganze Abflughalle konnte bemalt werden. "Mit ihm kam ich her - und nun bin ich schon 18 Jahre hier." Loomit muss selber staunen, wie sich alles fügte. Mit Mathias Scheffel, damals Nöths Geschäftsführer, sei er rumgegangen im Pfanni-Areal auf der Suche nach dem schönsten Platz. "Ein Hauptgewinn", sagt Loomit. Das Schöne an dieser Atelieradresse sei auch die Nachbarschaft gewesen: Überbleibsel des früheren Flohmarkts hier habe er oft brauchen können. Aus manchen Nachbarn im Gelände wurden Auftraggeber, aus anderen Helfer, denn hier gab es Experten für IT ebenso wie für Recht und Gesetz oder fürs Praktische wie den Bau eines maßgeschneiderten Lastenrads für alle Utensilien.

Auch Werner Eckert, der Pfanni-Erbe, der das Gelände später zur Kultfabrik machte, bot Loomit alle Möglichkeiten. Der Künstler geht draußen an der Reihe der Metallverkleidungen für die großen Müllcontainer vorbei: Die habe Eckert bestellt. "Der beste Untergrund, Sprays sind ja für Oberflächen aus Metall gedacht", schwärmt Loomit. Drei der Häuschen haben Künstler gestaltet, die im vergangenen Jahr auf der jungen Kunstmesse Stroke auf der Praterinsel vertreten waren.

Loomit hat das pinkfarbene Kaninchen allein gestaltet. (Foto: Catherina Hess)

Er sei so eine Art "Graffiti-Hausmeister" auf dem Gelände, witzelt Loomit. Klar ist, wer in dieser besonderen Welt sprayen will, wendet sich an ihn. "Da braucht es nicht viele Erklärungen. Die Leute müssen mir eine Skizze schicken." Abgelehnt habe er aber noch keinen, auch wenn der Entwurf etwas ungelenk war. Loomit hat schon früh sein Wissen und seine Erfahrungen in Workshops weitergegeben, unterm Dach des Berg am Laimer Jugendtreffs Zeugnerhof und an vielen anderen Adressen von Volkshochschule bis zu Jochen Schweizer. Auch unten neben seinem Atelier hat er eine "Schulwand" für seine Kurse reserviert. Die Kids seien oftmals hin und weg, dass man Kunst nicht nur auf dem Computer designen könne, sondern echt von Hand herstellen, draußen an der frischen Luft, egal, bei welchem Wetter.

Doch es klopften auch immer wieder die Großen an, Kollegen aus Ost und West und Nord und Süd, die er sehr schätzt wie etwa Seen aus New York oder HNRX aus Innsbruck, ETAM aus Polen oder die brasilianischen Zwillinge Os Gemeos mit ihren feingliedrigen Gestalten. Oft entstehen die Gemälde im Teamwork. "Hier ist das Münchner Eck", zeigt Loomit: "Law one", und die Drei von der Gruppe "Haus 75" haben sich da verewigt, die Türen und die Schilder ins Gesamtkunstwerk mit einbeziehend. Er deutet nach oben: Auch Kamine sind nicht nackt geblieben, in der Fülle kann man das leicht übersehen.

Mit Kollegen wie Os Gemeos hat er an der Hausfassade zusammengearbeitet. (Foto: Catherina Hess)

Immer noch macht Loomit "Dienst-Reisen". "Mit der Entfernung von daheim nimmt die Notwendigkeit ab, eine Genehmigung zu haben", formuliert er elegant. Gerade in Südamerika sei er oft auch sehr willkommen: Ein Hausmeister habe ihm eine Leiter gebracht. Im Werksviertel malt Loomit derzeit unter einem ganz besonderen Blickwinkel: Weil er beim Umzug nicht zu viele Farbeimer mitnehmen will, dominieren auf seinen aktuellen Bildern die Töne, die noch in größerer Menge rumstehen. Im neuen Atelier, diesmal gemietet, wird er akademische Künstler wie Olaf Metzel und Ugo Dossi als Nachbarn haben. "Und einen Aufzug, schließlich werde ich ja alt", scherzt er.

Immer noch wird er inmitten eines wunderbaren Wirkungsbereichs sitzen. Eckart könne sich gut vorstellen, von Loomit und Kollegen mancher neuen Mietshausfassade das Einheitsgrau austreiben zu lassen, erzählt er. "Aber erst einmal warten viele hundert Meter Bauzäune."

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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