Nach mehreren tödlichen Unfällen mit Rechtsabbiegern ist das Problem zwar bei vielen Fuhrparkbetreibern in München ein wichtiges Thema - alle schulen ihre Mitarbeiter zu den Gefahren des "toten Winkels" -, aber nur wenige rüsten ihre Fahrzeuge über das gesetzlich geforderte Maß hinaus mit Technik aus, die hilft, solche Unfälle zu vermeiden. Von zehn Unternehmen, die mit vielen Fahrzeugen auf den Straßen der Stadt unterwegs sind, gaben auf Anfrage der SZ fast alle an, bei Neuanschaffungen in Zukunft Lkw und Busse mit Abbiegeassistenten erwerben zu wollen. Das ist allerdings von 2022 an ohnehin Vorschrift. Einzig der Abfallwirtschaftsbetrieb München will Altfahrzeuge in größerem Umfang mit solchen Systemen nachrüsten. Die Vergabestelle der Stadt sei mit der Beschaffung beauftragt, teilte der AWM mit.
Seit Jahren diskutieren der Stadtrat und Experten über Maßnahmen, um Abbiegeunfällen vorzubeugen. Mit jedem Vorfall flammt die Debatte wieder auf, ohne dass eine Lösung in Sicht wäre. Zuletzt kam es im Mai zu schweren Unfällen: Ein Betonmischer begrub eine Radfahrerin unter sich. Die Frau fuhr auf dem Radweg am Frankfurter Ring, als der Lkw nach rechts in eine Baustelleneinfahrt einbog. Der Fahrer hatte die Radlerin übersehen, die 34-Jährige wurde mit Quetschungen und Prellungen in ein Krankenhaus gebracht. Nur Tage später kam ein elf Jahre alter Bub bei einem ähnlichen Unfall mit einem Laster in der Corneliusstraße ums Leben. Erst ein Jahr zuvor war eine Neunjährige in der Schleißheimer Straße von einem Kipplaster überrollt und getötet worden.
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Laut Polizeistatistik passierte 2018 fast jeder achte Verkehrsunfall mit Radlern in der Stadt, weil ein Rechtsabbieger den in gleicher Richtung fahrenden Radfahrer übersah. Die Idee, das Stadtgebiet grundsätzlich für Lkw zu sperren, die nicht über Vorrichtungen verfügen, die den Fahrer vor Personen im toten Winkel warnen, wurde verworfen; sie ist rechtlich problematisch und kaum praktikabel - bundesweit verfügen gerade einmal fünf Prozent der Lkw über solche Vorrichtungen.
Würden nur bestimmte Straßen mit sehr gefährlichen Kreuzungen gesperrt, würde das Problem wohl nur verlagert: Die Lkw müssten Umwege fahren, was zu mehr Verkehr führen würde und damit möglicherweise zu weiteren Gefahren. Von Oktober an wird die Stadt 100 sogenannte Trixi-Spiegel an besonders gefährlichen Kreuzungen montieren. Der frühere Bürgermeister von Seehausen am Staffelsee, Ulrich Willburger, hatte sie entwickelt, nachdem vor 30 Jahren seine Tochter bei einem solchen Unfall fast ums Leben gekommen wäre.
Dass die Stadt nun Radwege besonders an Kreuzungen auffällig rot markiere, trage dazu bei, das Unfallrisiko zu minimieren, teilen die Stadtwerke mit. Sie sind mit 450 Autos, 430 Sprintern und 100 Lkw unterwegs. Gerade wurden die ersten zehn Linienbussen mit Abbiegeassistenten geliefert. Insgesamt sollen bis Ende kommenden Jahres 55 neue Gelenkbusse mit dieser Technik ausgerüstet sein. Einmal im Quartal ist der tote Winkel Thema bei Mitarbeiterbesprechungen.
Die 186 Müllwagen und 50 Absetzkipper der Abfallwirtschaft sind bereits mit einem Kamera-Monitor-System ausgestattet: In 198 Fahrzeugen kann der Fahrer die rechte Seite des Lkw über einen Bildschirm einsehen, in den restlichen Lastern ist zum Teil sogar ein 360-Grad-Rundumblick möglich. Einen echten Abbiegeassistenten, der automatisch warnt, wenn beim Rückwärtsfahren oder Abbiegen ein Hindernis im Weg ist, gibt es allerdings erst bei einem einzigen Lkw des AWM. Zehn weitere mit diesem System sind bestellt. Zusätzlich stehen noch einmal 22 Lkw mit Abbiegeassistenten auf der Beschaffungsliste der Müllabfuhr. Zwei angestellte Fahrlehrer schulen die Mitarbeiter mindestens einmal im Jahr und behandeln dabei auch den toten Winkel und die richtige Einstellung von Spiegeln und Kameras.
Statt zu warten, bis Abbiegeassistenten nach EU-Recht 2022 für neue Fahrzeuge vorgeschrieben sind, werde die Richtlinie schon jetzt umgesetzt, um der "Vision Zero" einer Stadt ohne tödliche Unfälle näher zu kommen, sagt Kommunalreferentin Kristina Frank: "Wir bauen bei allen Neuanschaffungen das Beste auf dem Markt verfügbare Sicherheitssystem ein", betont die Erste Werkleiterin des AWM.
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Die Privatwirtschaft scheut derweil oft noch die hohen Kosten einer Nachrüstung - zumindest wenn sie sie selbst tragen muss: Die zehn Millionen Euro Fördergeld, die Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dafür bereitgestellt hatte, waren innerhalb weniger Tage ausgeschöpft.
Die Rewe-Gruppe, die sich an Scheuers Initiative beteiligte, beliefert ihre Märkte in München mit 15 eigenen Lkw. Jeder zweite davon hat einen Abbiegeassistenten. Allerdings beliefern auch viele Logistik-Dienstleister die Märkte, dort sieht die Quote anders aus. Seit einem Jahr stattet das Unternehmen alle neuen Lkw mit der Sicherheitstechnik aus. In den nächsten zwei Jahren würden zudem "sämtliche Euro-6-Lkw nachgerüstet", erklärte ein Unternehmenssprecher.
Die etwa 450 Sprinter, mit denen die Deutsche Post DHL in München Pakete und Kurierpost zustellt, seien "nahezu alle" mit einer Rückfahrkamera ausgestattet, erklärte ein Unternehmenssprecher. Beim Abbiegen müssen sich die Fahrer allerdings bislang auf Seitenspiegel verlassen. Außer in den gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitstrainings üben sie auch in "Zusteller Parcours", wie komplizierte Rangiervorgänge und Rückwärtsfahrten vermieden werden können. Assistenten kommen in den Lastern der Post noch nicht zum Einsatz. "Der Markt entwickelt sich erst und die angebotenen Systeme werden von unserem Einkauf analysiert", teilte der Sprecher auf Anfrage mit.
Auch Otto Pachmayr sieht die Technik noch skeptisch. Bisher hat der Getränkegroßhändler nur bei fünf Sattelzügen elektronische Abbiegeassistenten installiert. Insgesamt umfasst der Fuhrpark von Otto Pachmayr 70 Lkw, etwa die Hälfte davon ist täglich in München unterwegs, meistens mit Beifahrer: "Der Mensch stellt meiner Auffassung nach eines der effektivsten Abbiegeassistenzsysteme dar", sagt der Firmenchef. Er würde sich wünschen, dass bei der Verkehrserziehung Kinder auch mal in einem Lkw sitzen, "damit sie erkennen, dass ein Lkw-Fahrer manchmal keine Chance hat, zu erkennen, dass sich ein Fußgänger oder Radfahrer dicht neben seinem Fahrzeug befindet".