Mord in Münchner Nachtclub:Eine ganz normale Entlassung

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Schwierige Spurensuche: Die Ermittler am Tatort haben ihre Arbeit abgeschlossen. Die Frage, warum Jurij Sch. in Freiheit kam, beschäftigt aber weiterhin. (Foto: dpa)

Jurij Sch., der die Bardame eines Münchner Nachtclubs im Rausch erstochen hat, hat sich in der Therapie korrekt verhalten. Deshalb waren auch die Ärzte davon überzeugt, dass er ohne Probleme freikommen kann. Doch dann beging er einen Mord.

"Natürlich muss man davon ausgehen, dass man belogen wird, dass was verschwiegen oder beschönigt wird." Der Mann, der das sagt, ist Facharzt für Psychiatrie. Er begutachtet seit sieben Jahren Straftäter und gibt eine Empfehlung ab, ob diese in die Freiheit entlassen werden können oder nicht. Der Facharzt aus Niederbayern hat auch Jurij Sch. begutachtet, den Mann, der zugibt, vergangene Woche in der Bar "Kapitol" am Hauptbahnhof die 35-jährige Natallia G. erstochen zu haben.

Allerdings scheint die Tatsache, dass der 44-jährige Russe erst einen Tag zuvor aus dem Maßregelvollzug entlassen worden war, nicht so relevant zu sein, wie bislang angenommen: Zwar endete der Vollzug laut Papier am 4. März, tatsächlich aber lebte Jurij Sch. bereits seit Ende September 2012 in einer betreuten Wohngruppe im Westen von München.

Der Gutachter aus Niederbayern kann und will sich zum Fall des Jurij Sch. nicht äußern. Er kann nur allgemein über seine Arbeit sprechen: Dass ein externer Gutachter die Möglichkeit habe, mit dem Straftäter zu sprechen, sich seine Akte anzuschauen, die Beurteilungen der anderen Fachkräfte miteinzubeziehen und am Ende eine Empfehlung abzugeben. Könne man beispielsweise durch eine stationäre Therapie etwas verbessern? Oder würde es sich lohnen, den Betreffenden noch drei Monate länger im Maßregelvollzug zu belassen?

Im Fall des Jurij Sch. war klar: Die Möglichkeit, ihn im geschlossenen Vollzug zu behalten, war zeitlich begrenzt. Denn der Russe war 2006 wegen versuchten Mordes zu neuneinhalb Jahren Haft und Entziehungsanstalt verurteilt worden - aufgrund seiner Alkoholsucht. Hätte man ihn aufgrund einer psychischen Erkrankung in die Klinik eingewiesen, hätte es keine zeitliche Beschränkung gegeben. Doch die Richter stuften ihn damals als voll schuldfähig ein. Die Frage seiner Entlassung war also nur noch eine Frage von Monaten.

Nach fünf Jahren im Gefängnis - einschließlich der Untersuchungshaft - kam Jurij Sch. am 1. April 2010 in die Isar-Amper-Klinik nach Haar zum Entzug. "Er war länger als üblich da, normal sind zwei Jahre für eine Suchtbehandlung", sagt Susanne Büllesbach vom Bezirk Oberbayern. Jurij Sch. habe alle für die Suchttherapie erforderlichen Maßnahmen mitgemacht. "Und er war bei jeder Alkoholkontrolle clean", sagt Susanne Büllesbach.

Bereits im Gefängnis habe er sich angepasst verhalten, dann auch in der Klinik. So habe man langsam mit den so genannten Lockerungsstufen begonnen: Nach der Unterbringung im Hochsicherheitstrakt die Verlegung in eine weniger abgesicherte Abteilung, Spaziergang mit Personal, ohne Personal, Freigang, Arbeitsplatz, ab Ende September sogar Wohnen in einer externen, betreuten Gruppe. "Und es gab nie Grund für Beanstandungen, jeder Alkoholtest war negativ. Sonst wären die Lockerungsstufen sofort wieder rückgängig gemacht worden", sagt die Sprecherin des Bezirks.

Allerdings, das räumt Büllesbach ein, habe Jurij Sch. immer die Tendenz gezeigt, sich forensischen Maßnahmen entziehen zu wollen, etwa den Wunsch, der Therapiegruppe fernzubleiben. "Er hat sich nicht mit der Tat auseinandergesetzt. Er hat nicht getrunken, weil er wusste, dass er kontrolliert wird. Er hatte es aber selbst nicht verinnerlicht." Die Ärzte in Haar sowie der externe Gutachter, der mit Jurij Sch. im Dezember sprach, kamen zu dem Schluss, dass eine Entlassung vertretbar sei. Allerdings müsse das engmaschige Betreuungsnetz erhalten bleiben: ein strukturierter Rahmen, das betreute Wohnen, die Haar-, Blut- und Urinkontrollen, die ambulante Therapie, der Bewährungshelfer.

"Er hat sich bei uns gut eingefügt, war absolut trocken, alles lief bestens", sagt die Leiterin der Betreuten Wohngruppe, wo Jurij Sch. zuletzt lebte. Sie hätte sich einmal pro Woche mit ihm zu einem Gespräch getroffen. Nur am letzten Montag, am Tag seiner offiziellen Entlassung in die Freiheit, sei er nicht zum Termin erschienen. An jenem Abend hing Jurij Sch. in der Bar, trank und stritt sich mit der Barfrau Natallia G.. Wenige Stunden später war sie tot.

© SZ vom 12.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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