Mode:Wem der Schal im Nacken sitzt

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Knallige Kontraste, große Buchstaben: Kein Kleidungsstück ist in dieser Saison angesagter. Freunde lassen sich gemeinsam ein Modell entwerfen, Shops verschenken sie zur Kundenbindung, und mancher Münchner Designer ist verwundert über Bestellungen vom anderen Ende der Welt

Von Franziska Gerlach

Ist das Weltklima so frostig wie in diesen Tagen, zieht man sich besser warm an. Zum Beispiel mit einem Schal. Das Münchner Label "A Kind of Guise" hat schon früher Schals entworfen. Doch mit der Begeisterung für diese Exemplare hat Labelinhaber Yasar Ceviker dann doch nicht gerechnet. Vier Modelle, insgesamt 120 Stück, hat er im Dezember auf den Markt gebracht, die Nachricht von den Neuzugängen im Sortiment hat er anschließend noch über die sozialen Medien verbreitet. Wie man das eben so macht. Und zack - weg waren sie. "Das war absurd."

Gerade sitzt Ceviker in seinem Büro an der Liebherrstraße vor seinem Rechner und zeigt posthum noch einmal Bilder von den Schals, die denen ausgemachter Fußballfans durchaus ähneln. "Stay classy" oder "No worries" ist da zu lesen, wobei letzteres als philosophischer Grundsatz des Labels gelesen werden darf, dem Modezirkus nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Dabei sind die bunten Schals gerade ihrer Botschaften wegen modisch durchaus ernst zu nehmen. Ins Stadion will damit keiner.

Die Münchnerinnen und Münchner tragen sie in diesen Tagen lieber ganz selbstbewusst in Bars oder U-Bahnen, genauso wie jene Schals, die Valentino Betz und Marvin Schuhmann von "Public Possession" sowie Christopher Romberg und Sandra Schwittau in diesem Winter herausgebracht haben, ein international gefragtes DJ-Duo mit Musiklabel und die Inhaber von "Schwittenberg". Anlässlich des einjährigen Bestehens des Ladens im Luitpoldblock haben Romberg und Schwittau die selbst entworfenen Schals an gute Kunden und Freunde verschenkt. Die ersten 50 seien schnell vergriffen gewesen, deswegen habe man nochmals 30 Stück nachproduziert. "Wir wollten etwas Nettes für die Kundschaft, das sich leicht und unkompliziert umsetzen lässt", sagt Romberg. Und als er neulich zur Order in Paris war, erzählt der Modehändler, habe er allenthalben solche Schals gesehen. Ein Thema, ganz klar.

Nun ist eine gewisse Sorte Münchner bekanntermaßen nicht schüchtern, wenn es um die Demonstration von großen Buchstaben am Körper geht. Die neue Lust am Statement aber einfach mit dem Aufleben der Neunzigerjahre zu erklären, als man ohne plakative Markennamen am Körper nicht durch den Tag kam, das würde dann doch zu kurz greifen. Die Qualität ist nämlich eine andere: Das Statement zählt gerade viel in der Mode, nicht umsonst klickten die Kameras wie verrückt, als Maria Grazia Chiuri, Diors erste Chefdesignerin, auf der Pariser Fashion Week die Models in bedruckten T-Shirts über den Laufsteg schickte, Text: "We should all be feminists". München ist zwar nicht Paris, und allein der ambitionierten Preise wegen wird ein Hype um das Dior-Shirt wohl ausbleiben. Doch dass sich manchmal einfach nur fünf Freunde dasselbe Kleidungsstück gestalten lassen, das passiert auch an der Isar: Textile Bekenntnisse des Zusammenhalts in Zeiten, da man nie so genau weiß, wann einem das große Ganze um die Ohren fliegt. Und wie wir vom Sport wissen, lässt sich Gemeinschaftsgefühl mit kaum einem Kleidungsstück so anschaulich demonstrieren wie mit einem Schal. Das kann kein Schuh, das kann keine Hose. Das kann allenfalls noch das Fan-Shirt.

Im Fall von "Public Possession" beinhalten die Schals sogar ein Angebot zur Kommunikation. "Salve Amici" und "Saluti a tutti" steht da Schwarz auf Rosa. Das ist italienisch (Marvin Schuhmann ist Italien-Fan) und lässt sich mit "Servus Freunde" beziehungsweise "Grüße an alle" übersetzen. Schon ein Jahr zuvor haben sie gemeinsam mit dem benachbarten Skateshop "Shrn" eine Kollektion an gelben Schals entworfen. In die ganze Welt haben Betz und Schuhmann schon Schals verschickt, die rosa wie die gelben, selbst aus dem warmen Australien trafen Bestellungen ein, wo man vielleicht Münchner Wiesnhüte vermuten würde. Aber sicher keine Münchner Schals.

Ayzit Bostan traut der Mode nicht nur eine politische Haltung zu. Auf unerhört ästhetische Weise hat die Münchner Designerin auf ihrem Schal die Buchstaben des Wortes "Imagine" aneinander gesetzt, eine Anlehnung an den John Lennon-Song von 1971, der wohl schönsten Hymne für den Weltfrieden. Den Schal hat sie in Kooperation mit einem italienischen Designmagazin entwickelt und erstmals 2014 auf der Design Biennale in Istanbul gezeigt. Bei seinem Nachfolger hebt sich das Wort von hellblauem Strick ab. Die limitierte Auflage ist erst vor einigen Tagen erschienen, doch Bostan sagt: "Die Hälfte ist schon weg."

Ob die diversen Münchner Schals nun tatsächlich wegen ihrer Botschaften gefragt, weil sie schön, oder aber - noch so eine Größe im Prozess der Kaufentscheidung - begrenzt verfügbar sind? Das wissen wohl nur die Käufer selbst. Am Ende bleibt ein Schal ja auch nur ein Schal. Und als solchem sollte man ihm vielleicht nicht zu viel Verantwortung aufhalsen. Er ist ja auch so ziemlich toll: beschert der tristen Wintergarderobe einen willkommenen Farbtupfer und macht sich obendrein noch gut zu jener lässigen Kombination aus Sneakern, langem Mantel und Mützchen, die in den hippen Ecken Münchens gerade schwer en vogue ist. Marvin Schuhmann glaubt, dass die bunten Schals auch der Effekte wegen beliebt sind, die sich mit ihnen beim Posten in den sozialen Medien erzielen lassen. Trotzdem werden jene von "Public Possession" wohl keine weitere Auflage erfahren. "Wir haben es gemacht", sagt auch Ceviker von "A Kind of Guise". Das sei es dann aber auch gewesen.

© SZ vom 14.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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