Mitten in Trudering:Mitleid mit Michael

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Du sitzt in der ersten Reihe und willst dich bei diesem Kabarettabend bloß amüsieren - und dann fallen drei Frauen von der Bühne aus über dich her. Das muss man wie ein Mann ertragen, stoisch und stumm

Von Renate Winkler-Schlang

Es ist schon ein paar Tage her, unser Abend mit Michael. Aber wir haben ihn nicht vergessen, denn wir hatten Mitleid mit Michael. Dabei kennen wir ihn gar nicht und würden ihn auch auf der Straße nicht wiedererkennen, wenn wir ihn träfen. Mit einer Begleiterin saß der Mann in der ersten Reihe bei der "Ladies Night" im Kulturzentrum Trudering. Drei Kabarettistinnen - Anna Piechotta, Eva Eiselt und Nadja Maleh - bestritten den Abend. Ladys? Wäre vielleicht zu viel gesagt, denn Michael gegenüber benahmen sich alle drei doch eher aufdringlich.

Eine jede bezog sich auf ihn, machte ihn zum Gegenstand von Scherzchen, von Anzüglichkeiten. Eva Eiselt brüllte ihn in einer Nummer sogar regelrecht an, ausdauernd, hysterisch, laut, wie es das Drehbuch eben verlangte. Bloß hatte Michael kein Drehbuch. Michael tat, was Männer in solchen Fällen ohnehin gerne tun, er blieb stumm.

In der Pause sprachen wir über Michael. Ob er seinen richtigen Namen preisgegeben hatte. Ob das da neben ihm seine Frau oder Freundin war - vielleicht eifersüchtig? Wie er sich nun wohl fühlte, und ob er überhaupt nach dem Pausengong in die Gefahrenzone in der ersten Reihe zurückkehren wird? Doch Michael war da. Souverän. Stoisch. Still. Und er wurde belohnt, Nadja Maleh schenkte ihm am Ende eine CD mit ihren Liedern, das Publikum gewährte ihm einen Applaus. Nur für ihn.

Manche Damen im Saal aber trieb die Frage um, wie sie reagiert hätten. Dabei fiel uns auf, dass die Frage sich eigentlich gar nicht stellt. Und eine subjektive Blitzumfrage im Bekanntenkreis ergab, dass sich jede und jeder nur an Künstlerinnen erinnert, die von der Bühne herab Männer anquatschen. Umgekehrt? Nie. Jedenfalls fiel uns unter den männlichen Kabarettisten keiner ein. Sie scheinen souverän auszukommen, ganz ohne weibliche Hilfs-Doofies. Oder sie trauen sich einfach nicht.

© SZ vom 26.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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