Mitten in Solln:Die tragende Rolle der Gastronomie

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Versuche, das Publikum kulinarisch umzuerziehen, waren in Solln stets zum Scheitern verurteilt. Die Grundregeln lauten: Qualität vor Schnickschnack. Niemals Stammtische verprellen. Keine Getränkepreis-Explosionen

Kolumne von Jürgen Wolfram

Die Lebensbalance ruht angeblich auf einem Vier-Säulen-Modell, der Lese- und Schreibunterricht an Grundschulen ebenso. Daneben lässt sich eine plausible Vier-Säulen-Theorie über die Identität des Stadtteils Solln konstruieren. Deren Stützen tragen gemäß dieser Annahme stolze Namen: Zum Hirschen, Sollner Hof, Iberl, Schützenlust. Gasthöfe, die über starke Pfeiler verfügen, damit sie unter der Last jahrhundertealter Tradition nicht zusammenbrechen. Wenn's kriselt in den Bastionen der Gastronomie, dann werden die Sollner hellhörig. Etwa so wie die Giesinger, wenn ihr Stadion ins Wanken gerät.

Einst war es als Künstlerkolonie berühmt, später als bevorzugte Wohnstatt für Architekten, Rechtsanwälte und Ingenieure, jetzt schwindet Sollns Nimbus einer Edelversion Münchner Lebensart allmählich dahin. Geblieben sind die altehrwürdigen Gasthäuser. Doch die Schützenlust beim Maibaum etwa ist verwaist, seit Wirtsleute versucht haben, ein kapriziöses Konzept umzusetzen. Man hätte es ihnen sagen sollen: Versuche, das Sollner Publikum kulinarisch umzuerziehen, waren stets zum Scheitern verurteilt. Wer hier mit dem Schöpflöffel nach Kaufkraft angelt, sollte sich ein paar Formeln gut einprägen: Qualität vor Schnickschnack. Niemals Stammtische verprellen. Keine Getränkepreis-Explosionen. Das Hofbrauhaus Freising, in der Nachfolge der Urbanus-Brauerei neuerdings Hausherr in der Schützenlust, beteuert, das Gasthaus an der Herterichstraße werde "so bald wie möglich wiedereröffnet", man verhandle mit Pachtinteressenten.

Dass es bald klappt mit neuen Verträgen, dafür spricht einiges: Sollns Hochburgen des Tafelns haben schon ganz andere Zäsuren überdauert. Das gilt gewiss auch für das Iberl, dessen Historie bis ins Jahr 1862 zurückreicht. Dort wurde eben erst der Theatersaal, die Kultbühne, stillgelegt. Offiziell aus technischen Gründen. Kein Wunder, dass die Spekulationen wuchern. Steht ein Umbau bevor, ein Pächterwechsel, ein völlig neues gastronomisches Konzept? Die Sollner indes hoffen: Irgendwie wird's schon weitergehen. Denn Kontinuität war im Münchner Süden stets eine besonders stabile Säule. Nicht nur in der Theorie.

© SZ vom 03.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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