Mitten in Solln:Der Anarchist im braven Bürger

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Das ganze Jahr über geht im Viertel alles seinen ordnungsgemäßen Gang, aber nach dem Dreikönigstag schert sich hier niemand mehr um Verbote: Der Weihnachtsbaum wird in wilder Manier illegal entsorgt

Von Jürgen Wolfram

Es klappt auch 2016 wieder nicht, soviel ist absehbar. Seit ewigen Zeiten versucht das städtische Baureferat, ein bestimmtes Verbot durchzusetzen - vergeblich. Die Sollner hören einfach nicht auf, ihre ausrangierten Christbäume bei den Altglascontainern Ecke Begasweg/Plattlinger Straße zu entsorgen. Wahrscheinlich steckt dahinter eine Denkweise, die in ihrer Geradlinigkeit an den Stamm der Edeltanne erinnert: Wein und Weihnachten gehören untrennbar zusammen, warum dann nicht auch ihre Überbleibsel? Großformatige Hinweisschilder und die Androhung von Bußgeldern bei Verstößen gegen die kommunale Grünanlagensatzung erweisen sich als ähnlich wirkungslos wie Spielverbote in einem Sandkasten.

Die nadelnden Reste vom Weihnachtsfeste, würden sie nicht regelmäßig von Kommunalbediensteten beseitigt, dürften sich zu monströsen Haufen stapeln, dem Holzchaos ähnlich, das Orkane im Forstenrieder Park hinterlassen. Zu ihrem Wachstum tragen die Leute meist verstohlen in der Dämmerung bei, selten auch ganz offen am helllichten Tage. Stets jedoch mit sturem Blick, der an den städtischen Hinweisschildern gezielt vorbeiführt. Käme jemand, um das angedrohte Ordnungsgeld tatsächlich einzutreiben, könnte sich der Kämmerer freuen, Haushaltskürzungen wären passé.

Dabei gilt der Stadtteil nicht gerade als Hort der Aufmüpfigkeit. Man lebt hier meistens betont regelkonform. Doch stets zum Auftakt eines neuen Jahres kommt im braven Bürger der Anarchist zum Vorschein. Und der will sich nun mal nicht nötigen lassen, den mehrere Kilometer entfernten Wertstoffhof in Thalkirchen anzusteuern. Wie soll das Baureferat mit den massenhaften "Zuwiderhandlungen" umgehen? Kapitulation ist kein schönes Wort, aber ihre Hoffnung auf eine Verhaltensänderung der Bevölkerung sollte die Behörde wohl still und leise entsorgen.

Vielleicht spendet der Stadtverwaltung die Erinnerung an jene Zeit etwas Trost, als Edmund Stoiber bayerischer Innenminister war. Damals, in den Achtzigerjahren, zog der spätere Ministerpräsident aus, in den vermeintlich rechtsfreien Räumen der Isarauen und des Englischen Gartens ein Nacktbadeverbot durchzusetzen. Hat auch nicht geklappt.

© SZ vom 12.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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