Mitten in Schwabing:Torjubel mal zwei

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Fußball schauen macht einfach keinen Spaß mehr - wenn die Nachbarn früher jubeln als man selbst

Von Nicole Graner

Das tolle, tolle Internet! Seit man damit auch schöner, klarer, ultrahoch aufgelöst Fernsehen schauen kann, ist Fußball echt nicht mehr spannend. Gerade am Sonntag wieder: Man schaut gebannt auf den grünen Rasen des Stadions Pierre Mauroy in Lille, Deutschland gegen die Slowakei. Es läuft die achte Minute! Ja, Ja, Ecke für Deutschland. Toni Kroos schießt . . . der Ball zu Milan Skriniar . . . schlecht abgewehrt . . . Boateng . . .

Da schreien die Nachbarn - so laut, dass man weiß - Tor! Mist, die haben wohl Kabelfernsehen. Dann Milli-Millisekunden später auf dem eigenen Bildschirm: Jerome versenkt die Kugel links ins Netz. Jetzt erst schreien wir: Tooor, Tooor! Auch wenn man es wusste, aber umso lauter, den Nachbarn zum Trotz.

Diese blöde Technik. Die Daten werden irgendwo auf einer Festplatte zwischengelagert. Der Speicher puffert Aussetzer in der Übertragung ab, damit es keine Ruckler gibt. Super! Lieber Ruckler, als dass die Nachbarn eher schreien und damit die ganze Spannung versauen. Einmal kann man das ja ertragen, aber dreimal? - nach dem ersten Treffer, in der 43. Minute, in der 63. Minute. Nerv!

Nun gut - entweder man hat Kabel oder man gewöhnt sich eine neue Freu-form an: Man freut sich also vor, schreit mit den Nachbarn und dann einfach weiter, wenn das Tor endlich auch auf dem eigenen Bildschirm besiegelt ist. Das Gute daran: Die Nachbarn wissen mittlerweile, dass sie eher dran sind. Und so gibt es in einer kleinen Schwabinger Straße den kleinen Goal-Schrei-Wettbewerb: lauter, länger, miteinander. Am Ende prostet man sich über den Zäunen Schwabings zu. Manchmal kann das Vertrauen auf die schnelleren Fußballgucker auch gefährlich sein. Nämlich dann wenn das laute Raunen kein Tor für Deutschland markiert, sondern für die anderen. Man freut sich schon vor, dabei. . . Na ja, dann eben nachraunen.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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