Mitten in Ramersdorf:Wissenschaft süß-sauer

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Wer seinen Körper in den Dienst der Erkenntnis stellen will, sollte sich das vorher gründlich überlegen - und nicht nüchtern erscheinen

Von Renate Winkler-Schlang

Also, es mag vielleicht komisch klingen, aber so eine richtige Beerdigung, das ist doch für die meisten eine viel schönere Vorstellung als posthum irgendwo plastiniert ausgestellt zu werden in einer dieser Körperwelten-Shows des Gunther von Hagens. Nun gut, abgehakt, das Thema: Man stellt seinen Körper lieber nicht in den Dienst von Wissen und Erkenntnis.

Denkt man. Dann kommt dieser Anruf einer Freundin, bei dem man irgendwie nicht "Nein" sagen will: Der Filius der Familie, angehender Zahnmediziner, braucht Versuchskaninchen. Gottlob nicht für irgendwelche Experimente mit neuen Backenzahnbohrern oder überdimensionalen Betäubungsspritzen. Es tue gar nicht weh und gehe auch ganz schnell, versichert die Anruferin. Der Jungdentist habe ja auch schon seinen eigenen Bekanntenkreis in die Versuchsreihe aufgenommen. Aber er braucht halt auch ein paar betagtere Semester mit älteren Organen. Wie gut, dass dessen Mama ein Kaffeekränzchen hat. Schon ist man Kandidatin beim Riech- und Schmecktest. Das kann doch gar nicht schlimm sein, hofft man.

Gar nicht so leicht, Terpentin von Lakritz zu unterscheiden, Zitrone von Grapefruit oder Apfel von Pfirsich. Augen zu, dann riecht man besser: War das jetzt Gewürznelke oder Uhu-Kleber? Eindeutig, viel zu eindeutig erkennbar sind dann der Fischgestank und vor allem der Knofi: Oh Gott, der leere Magen meldet sich.

Dann heißt es Zunge raus: Süß oder sauer, salzig oder bitter? Ein Teststäbchen nach dem anderen bugsiert der engagierte Experimentator einem in seinem alten Kinderzimmer am Schreibtisch in den Rachenraum. Würg. Nuschel. Er macht sich fleißig Notizen. Manchmal kann man da nur raten. Ist das jetzt so süß, dass es schon bitter kommt? Sauer? Ja, richtig sauer, brrrr.

Ein beruhigender Trost am Schluss: Alles so weit im Normbereich. Nur der Magen, der ist es nicht mehr. Das also ist die Moral von der Geschicht': Man kann seinen Körper sehr wohl selbstlos schon vor dem Tod der hehren Wissenschaft zur Verfügung stellen. Man sollte aber doch reiflich überlegen, ob man das tatsächlich auch schon vor dem Frühstück machen sollte.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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