Mitten in Ramersdorf:Tristan im Irrenhaus

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Alles hängt immer mit allem zusammen. Deswegen führt ein Besuch auf Bayreuths Grünem Hügel über ein paar Umwege nach Ramersdorf

Von Jutta Czeguhn

Die ganze Welt redet in diesen Tagen vom Tristan, natürlich auch von der Isolde. Premiere war am 10. Juni vor 150 Jahren am Hof- und Nationaltheater zu München - und am vergangenen Samstag in Bayreuth. Wer dort am niedlichen Provinzbahnhof in der recht gut sortierten Buchhandlung Wuttke den Festspiel-Kurier erwirbt und sich dann bis zur Seite 73 durcharbeitet, stößt im "Tristan-Alphabet" unter dem Buchstaben "R" auf "Ramersdorf".

"R" wie "Ramersdorfer Irrenhaus". Das kommt so unerwartet, dass man beinahe den Rumpelzug zurück Richtung Süden verpasst. Doch Alphabet-Verfasser Michael Weiser, der diesen Namen nicht zu Unrecht trägt, erklärt den Zusammenhang: "Nach Ramersdorf, in die eben erst von München geschluckte Gemeinde am Ostrand, wollte der Münchner Volksbote angesichts der skandalösen Beziehung zwischen Richard Wagner und Cosima von Bülow die Premiere des Tristan verlegt wissen."

Gefunden hat Michael Weiser diese kleine Anekdote in Wilhelm Tapperts Sammlung "Richard Wagner im Spiegel der Kritik" aus dem Jahre 1876. Ein wunderbares "Wörterbuch der Unhöflichkeit, enthaltend grobe, höhnende, gehässige und verleumderische Ausdrücke, die gegen den Meister Richard Wagner, seine Werke und seine Anhänger von den Feinden und Spöttern gebraucht wurden". Ans Herz gelegt wird einem das Werk "zur Gemütsergötzung in müßigen Stunden".

Der Volksbote also, ein damals die Münchner Presselandschaft dominierendes Oppositionsblatt, wetterte in seiner Ausgabe vom 23. Mai 1865 gallig: "Nächsten Freitag soll der Ehebruch unter Pauken und Trompeten mit vollständiger Zukunftsmusik übers Hof- und Nationaltheater ziehen. Viele sind freilich so frei, zu sagen, es sei weder höflich noch national, den Bruch des 6. Gebotes mit Glanz und Glorie zu verherrlichen und andere wollen deshalb wissen, daß der Wahnsinn auf seinem natürlichen Schauplatze, auf den Ramersdorfer Lüften, dem Platz des Münchener Irren-Hauses, aufgeführt werde."

Ob die Autoren beim Münchner Volksboten die "Kreisirrenanstalt für Oberbayern" meinten, die im Jahr 1859 eröffnet worden war und zwischen der Rosenheimer- und der Auerfeldstraße lag, also eher in Haidhausen? Im Tristan-Alphabet also eher ein "H" bedeutet hätte?

Na, jedenfalls wurde dieses Nervenkrankenhaus damals von einem gewissen Obermedizinalrat Bernhard von Gudden geleitet. Und so schließt sich irgendwie der Kreis zwischen der Irrenanstalt "Auf den Lüften", Richard Wagner, dem armen Dr. Gudden und dem entrückten König Ludwig II., der sehr wahrscheinlich mit dem Tristan im Ohr in die Fluten des Starnberger Sees geglitten ist.

© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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