Mitten in Ramersdorf:Qual für Auge und Hirn

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Eine Radler-Warnweste mit der Aufschrift "Reflektierte Persönlichkeit" - wer an der Ampel warten muss, ist seltsamen Botschaften seiner Mitmenschen ausgesetzt

Von Renate Winkler-Schlang

Oft heißt es, es sei ein Segen, dass man die Augen auch mal schließen kann - im Gegensatz zu Nase und Ohren, die immer in Habachtstellung sind. Alle mit geschlossenen Augen, das muss man sich mal praktisch vorstellen: ein Drunter und Drüber herumpurzelnder Menschen auf U-Bahnhöfen und Bürgersteigen, die Leute kämen mit blauen Flecken heim, so sie ihr Zuhause überhaupt fänden. Nicht umsonst also lautet eine wichtige Mahnung: "Augen auf im Straßenverkehr."

Wer das beherzigt, sieht allerdings nicht nur Fußgänger, Radler, Autos. Es schieben sich auch immer und überall bewegte Buchstaben in seinen Weg. Blitzschnell setzt sie das Hirn zu Wörtern zusammen und sucht sofort einen Sinn dahinter. Ob das Gelesene jedoch immer Sinn hat, darf bezweifelt werden. Neulich zum Beispiel, an der Ampel Bad-Schachener-/Anzinger Straße. Rot für die Radler, der ganz vorne trägt eine Warnweste über dem Wams. "Reflektierte Persönlichkeit" steht auf seinem gelben Rücken. Hat er reflektiert, was er da trägt? Oder hat es ihm ein befreundeter Witzbold geschenkt? Müsste es nicht "Reflektierende Persönlichkeit" heißen? Fragen über Fragen. Fast hätte man vor lauter Nachdenken das grüne Licht übersehen.

Dann kürzlich an der Ampel Baumkirchner Straße, ein Aufkleber an einem weißen Autoheck: "Wenn Sie finden, dass ich schlecht Auto fahre, dann sollten sich mich erst mal segeln sehen." Wieder so ein Satz, den man lieber nicht gelesen hätte. Ob der schlecht fährt, kann man gar nicht sagen - er steht. Und segelt er nun schlecht oder gut oder was? So ein Schmarrn.

Ganz schlimm neulich in der U-Bahn, Candidplatz: "Mei andre Daschn is a Lui Wittong." Weiß auf Rot, sodass es richtig ins Auge sticht. Gott sei Dank verschwindet die Tasche dann aus dem Blickfeld, sonst hätte man nochmal und nochmal lesen müssen. Die Trägerin machte auch gar nicht den Eindruck, als könnte sie sich eine echte Louis Vuitton leisten.

Es ist wichtig, dass jetzt endlich alle Plastiktüten einsparen und die Meere mit Baumwollbeuteln retten. Aber können es dann bitte schlichte weiße sein? Meinetwegen kariert, notfalls geblümt. Aber ohne jeden Buchstaben.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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