Mitten in Ramersdorf:Ordnung gibt es nur mit Schachtel

Lesezeit: 1 min

Die wichtigste Erfindung der Menschheit? Weder der Buchdruck, noch die Empfängnisverhütung - sondern Kartons

Glosse von Renate Winkler-Schlang

Was ist für Sie die wichtigste Erfindung der Menschheit? So einen Schmarrn fragen Menschen manchmal andere Leute. Beim Blind-Date, beim Party-Small Talk, manchmal sogar in Interviews. Außerdem in Freundschaftsbüchern, den kommerziellen Nachfolgern des guten alten Poesiealbums. Dabei kennt man die Standard-Antworten ohnehin schon: das Rad, der Buchdruck, das Penicillin. Ist ja schon ein Ding, wenn mal jemand sagt, es sei die Fotografie oder das Filmen, das Herdfeuer oder die Empfängnisverhütung.

Warum nur denkt niemand an die Schachtel? Überlegen Sie mal: Was wäre Ihr, unser aller Alltag, ohne Schachteln? Der Paketbote würde zum Sachen-Auslieferer und jeder könnte sehen, was der Nachbar wieder Unnützes bestellt hat. Ein Umzug ohne die Großversion der Schachtel, den stabilen Karton? Das reinste Chaos, im Umzugswagen würde alles heillos durcheinandergeraten. Auch das Kinderzimmer käme ohne solche praktischen Papp-Behältnisse nicht aus, Puzzleteile allüberall, Legosteine, Spielkarten. Nur Schachteln schaffen Ordnung.

Will einer eine Rarität an einen Sammler verscherbeln, bringt sie gleich viel mehr ein, wenn der Verkäufer mit der Originalverpackung punkten kann. Das weiß jeder, der mal im Fernsehen "Bares für Rares" gesehen hat. Gerade auf Flohmärkten finden sich zudem richtig schöne, dekorative alte Boxen, die einen Inhalt nicht mal brauchen. Da wird die Schachtel zum dekorativen Selbstzweck. Nett ist auch das Selber-Falten: Meditatives Schachtelnmachen mit Origami-Technik soll helfen, abends runterzukommen. Und verhindert ganz nebenbei den Griff in die Pralinenschachtel.

Unsere Mutter, Gott hab sie selig, war mit Leib und Seele Schneiderin. Unentwegt hat sie genäht, für die Töchter, die Familie, die Nachbarinnen. Akkurate Nähte, perfekter Sitz. Bloß am Ende lagen diese abgeschnittenen Fäden und Stoffreste auf dem Boden. Das hat sie immer gestört, die schwäbische Hausfrau. Ihr Tipp für die Berufswahl war daher klar: "Geh' in eine Apothek', da hast Du nur mit sauberen Schachteln zu tun." Da allerdings hatte sie ihre Töchter gedanklich im falschen "Schächtale" drin.

© SZ vom 06.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: