Mitten in Ramersdorf:Die Kunst des Homestagings

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Es genügt nicht mehr, Anzeigen zu schalten oder einen Makler zu beauftragen. Wer mit Immobilien so richtig Rendite machen will, nimmt nun noch ganz andere Hilfe an

kolumne Von Renate Winkler-Schlang

In einer alten Doppelhaushälfte in einer wunderbaren kleinen Straße in einer ebensolchen Siedlung in Ramersdorf ist ein Nachbar verstorben, viel zu jung, er hätte gerne noch seine Rente genossen. Das ist schlimm. Zuerst hieß es, er habe keinen Erben. Nun aber gibt es offenbar doch jemanden, der sich, bei aller Trauer, freuen darf über eine Immobilie. Damit sein Makler sie gut verkaufen kann, hat der Mann sie entrümpelt und Handwerker kommen lassen.

Neugierige Nachbarn haben im Internet herausgefunden, wie viel verlangt wird. Viel, horrend viel. Wen wundert's, man ist in München. Noch mehr als über den Preis diskutierten die Nachbarn nach Feierabend auf der Straße aber bald darüber, dass das Haus für die potenziellen Kunden mit dem Riesen-Geldbeutel "gestaget" ist. Ge-was?

Ältere Semester können mit der neudeutschen Vokabel nicht viel anfangen, doch ein Junger zieht sein Handy, zeigt die Parade-Fotos im Immo-Angebot: Hier wird Wohnen verkaufsfördernd inszeniert. Staging ist das Zauberwort. Angeblich soll es Profis dafür geben, die nicht nur einladend gefällig Couchlandschaft und französisches Bett in den renovierten Räumen drapieren, sondern auch Gewürzregal, Kleiderständer, Blumenvase. Und, damit es familienfreundlich wirkt, sogar noch die Holzschienen der Eisenbahn. Als ob sich die Leute, die ein solches Haus abzahlen müssen, noch Kinder leisten könnten . . . Die Diskussionen auf der Straße werden lauter. Die bodenständigen Ramersdorfer schütteln den Kopf.

Im Internet aber ist zu erfahren, dass es bereis Kurse gibt im Home-Staging, und dass Makler, die das anbieten, bis zu 15 Prozent mehr rausholen aus einem Objekt, bestückt im Einheitsgeschmack gehobener Möbelhäuser. Vielleicht aber spezialisieren sich diese Potemkinschen Bühnenbildner ja auch bald auf Zielgruppen: Staging für Feuerwehrfans ganz in Signalrot etwa, für harte Motorradfahrer in Glas und Metall, für Flohmarkt-Freaks mit Shabby-Schick und Vintage-Möbeln? Egal. Die Nachbarn gehen heim, ein jeder in sein eigenes Nest. Sie lassen die Rollläden runter und freuen sich, dass sie schon wohnen. Mit echten Kindern. Und nach ihrem unspektakulären, gemütlichen Geschmack - ihrem eigenen.

© SZ vom 24.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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