Mitten in Pasing:Ein Hatschi für die Demokratie

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Die Mitglieder des Pasinger Stadtteilgremiums diskutieren in langen Sitzungen über Parkbänke, Baumfällungen oder Dachgauben. Und sie frieren. Denn Rathaussaal und Pfarrheim gleichen Kühlschränken.

Von Jutta Czeguhn

Demokratie ist ein hartes Geschäft, besonders an der Basis. Da ist Leidensfähigkeit gefragt. Gemeint sind nicht jene wenigen Wochen vor einer Wahl, in denen wackere Ortsvereins-/-verbandsmitglieder Plakate kleben und vor den Supermärkten ihren Mitbürgern Partei-Programme aufdrängen müssen. Es geht um jene Engagierten, die sich permanent im Souterrain unseres politischen Systems abplagen. Die sich in aufreibenden Endlossitzungen um Fußgängerampeln, Parkbänke, Baumfällungen oder Dachgauben kümmern. Das sind die "Stadtteilpolitiker" in Münchens 25 Bezirksausschüssen, die nicht wirklich beachtet von der Öffentlichkeit und oft missachtet von den wirklich Wichtigen im Stadtrat Graswurzelarbeit machen. Und, das ist der eigentliche Skandal, sich dabei auch noch einen Schnupfen holen.

Besonders erkältungsgefährdet sind seit jeher die Mitglieder des Bezirksausschusses Pasing-Obermenzing. Dabei könnten sich diese eigentlich noch privilegiert fühlen, weil sie nicht wie so viele ihrer Kollegen in den Hinterzimmern von Gaststätten tagen müssen und von Champions-League-Übertragsgeplärre gestört werden. Die Viertelvertreter im Münchner Westen haben einen veritablen Rathaussaal (Pasing) beziehungsweise kommen im großzügig hellen Raum eines Pfarrheims (Obermenzing) zusammen. Problem nur: Sie müssen sich durch die Hälfte ihrer sechs Amtsjahre bibbern, von September bis April gleichen beide Säle einem Kühlschrank.

Die Frostperiode, so zeigte sich an diesem Dienstag im Pfarrheim "Leiden Christi" (Name rein zufällig), hat eben wieder begonnen. Auch die hitzigste Debatte konnte im Laufe des Sitzungsabends das Thermometer nicht in die Höhe treiben. Ein Mitglied nach dem anderen schlüpfte also erst in den Wollpulli, dann die Steppjacke. Nachahmenswert - dieser Rat geht an unerfahrene Besucher im Saalpublikum - ist die Warmhaltestrategie von Graciela de Cammerer, die sich stets einen Poncho umwirft, wie ihn die Gouchos in der Pampa ihrer argentinischen Heimat tragen. Selbst Thermokannen mit heißem Tee wurden im Bezirksausschuss schon gesichtet, Wärmflaschen allerdings - noch - nicht.

Aber auch den härtesten Demokraten platzt irgendwann der Kragen. Im BA Pasing-Obermenzing war es am Dienstag FDP-Mann Herbert Brüser, der mal wieder mit der kalten Faust auf den Tisch haute. So könne es nicht weitergehen, "echauffierte" er sich, und forderte mehr Heizungswärme. Immerhin blieb Brüser bis zum bitterkalten Sitzungsende. Vor Jahren, 2011, in einem eisigen Februarplenum, hatte er, eingepackt wie zu einer Polar-Expedition, einmal empört seine Akten zusammengepackt und mit einem "Nach der Dezember-Sitzung war ich fünf Wochen lang krank" den Saal verlassen. Das sind ja gute Aussichten, wir haben erst September.

© SZ vom 14.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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