Mitten in Pasing:Blick in die Vergangenheit

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Seit die Pappschachtel und die Wirtschaftsschule verschwunden sind, ist am Pasinger Marienplatz eine kleine Zeitreise möglich - so lange zumindest, bis ein Neubau das Sichtfenster in die Historie versperrt

Von Jutta Czeguhn

Wie lange halten die beiden Männer das wohl aus? Es soll Menschen geben, die sind da unempfindlich, die picknicken problemlos stundenlang an einen Autobahnrastplatz. Jetzt sind es schon an die zwei Minuten. Alle Achtung! Drei Minuten, vier. Doch nun, einer der beiden Männer rutscht unruhig auf seinen Stuhl herum, jetzt steht er auf, bedeutet seinem Kumpel mit einer knappen, missmutigen Geste: "Auf, lass uns hier verschwinden!"

Der Pasinger Marienplatz ist wieder menschenleer, zurück bleiben die Madonna oben auf der Säule, die Bäume in den knallrot eingefassten Riesenkübeln und die grauen, wetterfesten Metallstühle, Modell "München". Letztere stehen dort in der schwierigen Mission, dem Platz - ein dämliches Wort - "Aufenthaltsqualität" zu geben. Doch man müsste die Leute schon auf den Stühlen fixieren, damit sie sich dort "aufhalten". Der Marienplatz ist nicht mehr, wie früher, verkehrsumtost. Dafür tosen Autos und Busse heute an den Seiten vorbei.

Die beiden Männer sind nur wenige hundert Meter weitergewandert. Man sieht sie auf einer der Bänke auf dem Rathausplatz fläzen, zusammen mit anderen Pasingern, die dort unter den hohen Bäumen entspannen. Es ist viel los. Leute kommen zum Bücherschrank, holen Nachschub für die Hausbibliothek. Kinder toben auf den Spielgeräten, welche die Stadt dort aufgestellt hat. Noch ein paar Meter weiter am Brunnen zwischen den Arcaden hört man im Sommer typischen Freibadlärm.

Als Platz, als Piazza, haben die Pasinger den Marienplatz offenbar weitgehend abgehakt. Ob sich daran etwas ändern wird, wenn dort sporadisch Aktionen stattfinden und das geplante Geschäftshaus stehen wird, ist ungewiss. Derzeit gibt es nur einen einzigen, flüchtigen Grund, weshalb es sich lohnt, es ein paar Minuten dort auszuhalten: Nach dem Abriss der Pappschachtel und der Wirtschaftsschule hat sich ein Fenster in die Vergangenheit geöffnet. Es ist der freier Blick nach Südwesten, auf die kleine Institutskirche. So war das zuletzt vor mehr als 116 Jahren zu erleben.

© SZ vom 30.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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