Mitten in Nymphenburg:Rettung aus dem Eis

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Ein Bub will festgefrorene Fische befreien. Ein ganz und gar nicht leichtes Unterfangen

Von Sonja Niesmann

Vor ein paar Tagen, als die Temperaturen noch winterlicher waren, stand er da, am Fontänenbecken vor Schloss Nymphenburg. Ein vielleicht Neun- oder Zehnjähriger, der mit den Armen winkte und fuchtelte und jeden Herannahenden anflehte: "Können Sie mir helfen, bitte?" Aber, zeigte sich, es ist gar nicht einfach, sich verständlich zu machen an einer solchen Hochburg des Tourismus. Mehrere Paare blieben zögernd stehen, wechselten ein paar Worte miteinander - auf Tschechisch, Italienisch, Spanisch - und gingen weiter.

Endlich trat eine Frau zu ihm ans Ufer und fragte: "Was ist denn passiert?" "Die Fische!" Er deutete aufgeregt auf die zentimeterdünne Eisfläche, "da drin sind Fische festgefroren!" Die Frau, stirnrunzelnd: "Ich seh' keine Fische. Das sind doch nur kleine Stöckchen und vertrocknete Blätter." Nein, nein, insistierte der Bub, "ich hab' sogar zugeschaut, wie einer festgefroren ist." Um die armen Fische zu befreien, müsse man nun vereint kleine Eisplatten herauslösen und auf die Oberfläche schleudern, damit die Eisdecke bricht, legte er seinen Rettungsplan dar. Ein bisschen seufzend zog die Frau ihre Handschuhe aus, griff ins eiskalte Wasser, zerrte Eisplatte um Eisplatte heraus und schleuderte sie mit Vehemenz ins Becken - wo sie in viele hübsche kleine Bröckchen zersprangen, aber mitnichten ein Loch schlugen. Auch mit Steinen, die die Frau auf den Kieswegen zusammenklaubte, ließ sich keine echte Durchschlagskraft erzielen. Schließlich gab sie, sich die kalten Hände reibend, auf. Der Bub nicht. "Können Sie mir helfen, bitte?" Er stoppte die nächsten, zwei junge Männer. Zu dritt rückten sie nun der Eisdecke zu Leibe, man hört es klirren und sirren. Und plötzlich war es geschafft. Der Bub, tiefe Zufriedenheit von der Nasen- bis zur Zehenspitze ausstrahlend, radelte davon.

Bitte, Fischer, Biologen und Vielwisser: keine belehrenden Zuschriften jetzt. Natürlich frieren Fische nicht ein, wenn sie noch gut 30 Zentimeter Wasser überm Grund haben. Und ein Blitzeis, so stark, dass man den Fischen beim Einfrieren zuschauen könnte, wäre ein bislang unbekanntes Klima-Phänomen. Aber kann man so viel kindlichem Mitgefühl mit der leidenden Kreatur wirklich mit schnöder Besserwisserei begegnen?

© SZ vom 27.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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