Mitten in Nymphenburg:Eine Schule fürs Leben

Es gibt Orte in der Stadt, da sind Vergangenheit und Gegenwart nicht durch den dicken Panzer vieler Jahre getrennt, sondern nur durch einen dünnen Vorhang

Von Ulrike Steinbacher

Für jeden Münchner gibt es Orte in der Stadt, da sind Vergangenheit und Gegenwart nicht durch den dicken Panzer vieler Jahre getrennt, sondern nur durch einen dünnen Vorhang. Ehemalige Maria-Ward-Schülerinnen können dem Phänomen an den Auffahrtsalleen zum Schloss nachspüren. Erinnerungen überall: dort der Nymphenburger Kanal, auf dem die Internatsmädchen in besonders kalten Wintern manchmal zum Schlittschuhlaufen gehen durften. Getränke zum Aufwärmen gab's natürlich nicht, und die Aufpasser-Nonne umkreiste ihre Schäfchen wie ein Hirtenhund, um sie von der hölzernen Glühweinbude fern zu halten.

Und da: Das kleine Café, in dem die Kollegstuflerinnen in späteren Jahren viele ihrer entschuldigungsfreien Fehlstunden verbrachten. Davon gab es pro Fach und Halbjahr ein bestimmtes Kontingent, und das wurde eisern aufgebraucht. Bis man wieder in die Schule musste, saß man in Grüppchen im Café herum. Keine hat dort ihre große Liebe getroffen, niemand wichtige Weichen fürs Leben gestellt. Die Bedienung war meist recht unfreundlich, der Kuchen eher mittelmäßig, das Interieur tantenhaft. Aber jetzt, beim Vorbeifahren an diesem gelben Haus, da hat man sie alle noch einmal vor sich - die lauten Teenager von damals in ihren bunten Klamotten mit den breiten Schulterpolstern.

Die Freundin aus Schulzeiten muss sich deswegen beim Abendessen gleich ein wehmütiges "Weißt du noch . . ." anhören. Aber sie hat selber eine melancholische Geschichte parat: Neulich unterhielt sie sich mit einer Maria-Ward-Schülerin von heute, die beiden fahndeten eine Weile ergebnislos nach gemeinsamen Lehrern. Bis das Mädchen dann "den alten Herrn Roth" erwähnte. Ja, den kennen wir auch. Hat uns Englisch beigebracht, die Sprache und das Lebensgefühl - Tennessee Williams und Time Magazine, Ronald Reagan und AC/DC. Allerdings war er damals noch der junge Herr Roth.

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