Mitten in  Nymphenburg:Ein milder Blick zurück

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Neulich beim Klassentreffen: Erinnerungen an besondere Lehrer, an strenge Pfarrer und an das Fenster, an dem heimlich geraucht wurde. Für die alten Fotos allerdings brauchen die Schüler von einst heute eine Brille.

Kolumne von Ulrike Steinbacher

Zwischen Weihnachten und Dreikönig sind Rückblicke und Vorschauen institutionalisiert, zwischen Dreikönig und Weihnachten ergeben sie sich eher spontan. Neulich etwa - Klassentreffen, 35-einhalb Jahre nach dem Abitur. Bisher hat man solche Veranstaltungen gemieden. Mit der Nonnenschule samt Internat am Schlosspark verbinden einen nicht die angenehmsten Erinnerungen - auch wenn man heute über den Pfarrer lachen kann, der damals Schülerinnen fotografierte, wenn sie von ihren Freunden an der Pforte abgeholt wurden. Die Bilder schickte er dann mit einem Brief an die Eltern: "Wissen Sie, dass Ihre Tochter und dieser junge Mann . . ."

Bei der Rückkehr nach so langer Zeit fällt einem aber zuerst einmal auf, dass man in eine wunderschöne Schule gegangen ist, auch wenn das damals vollkommen uninteressant war. Barockisierender Walmdachbau, steht in der Denkmalliste, um 1910. Innen Jugendstil-Lampen, verwinkelte Gänge und der große Saal, der schon lange nicht mehr als Turnhalle dient. Beim Betreten taucht trotzdem aus der Vergangenheit sofort der Geruch von Schweißfüßen und Desinfektionsmitteln auf. Erinnerung zum Naserümpfen.

Und dann die kleinen Kubikel im heutigen Lehrerzimmer: Damals stand in jedem ein ältliches Klavier, auf dem Internatsschülerinnen nachmittags Etüden übten. Wie viele Ohren man wohl all die Jahre malträtiert hat, bis Modest Mussorgsky endlich zurückschlug und mit seinen komplizierten Kompositionen eine Sehnenscheidenentzündung und damit das Ende der Pianistenkarriere verursachte?

Die Mitschülerinnen hängen beim Rundgang ihren eigenen Gedanken nach: Chemie, das Horrorfach; das Fenster, an dem man heimlich geraucht hat; weißt du noch, wie sich die Physik-Nonne auf der Abiturfahrt den Knöchel verstaucht hat. Und dann die alten Klassenfotos, die von Hand zu Hand gehen: Die meisten brauchen längst eine Brille, um darauf irgendjemanden zu identifizieren. Aber in ihren Gesichtern sind die Mädchen von damals noch genau zu erkennen.

© SZ vom 03.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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