Mitten in Nymphenburg:Die Weisheit des Alters

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Es sind nur ein paar Knochen hinter Glas, die im Museum "Mensch und Natur" zu sehen sind - mit etwas Fantasie hört man aber die Botschaft, die uns die uralte Lucy übermittelt

Kolumne von Jana Sauer

Das Erdgeschoss des Museums Mensch und Natur: Urfrau Lucy residiert im hintersten Winkel eines fensterlosen Raumes. Ein winzig kleiner Körper hinter Glas, nur 40 Prozent des Skeletts sind erhalten. Zu Lebzeiten brachte sie ungefähr 30 Kilo auf die Waage, ein echtes Leichtgewicht. Ungleich schwerer wiegt ihre Bedeutung für die Wissenschaft: Die Knochen, in München als exakte Kopie ausgestellt, sind der vielleicht sensationellste paläontologische Fund aller Zeiten, beweist das Fossil doch, dass Australopithecus afarensis schon vor mehr als drei Millionen Jahren aufrecht ging.

Die Münchner Lucy harrt also in ihrem Kasten gelassen derer, die da kommen mögen, lernbegierige Menschen, die bereit sind, sich beeindrucken zu lassen. Auf der anderen Seite der Glasscheibe aber überwiegt gerade die Angst vor gähnender Leere im Kopf. Dort steht eine Besucherin mit dem verzweifelte Wunsch, sich möglichst viel einzuprägen, beim Verlassen des Museums zumindest etwas klüger zu sein als beim Betreten und nicht gleich alles wieder zu vergessen.

Lässt man den Gedanken zu, überlagert er schnell alles andere, und am Ende steht die frustrierende Frage, ob dauerhafter Wissenserwerb überhaupt möglich ist für dieses spezielle Exemplar von Homo sapiens sapiens - eine Vertreterin der Gattung "wissender Mensch", die sich bevorzugt auf all das konzentriert, was sie nicht weiß. Panik kommt auf.

Dann aber schlägt das Entzücken über die Geschichte, der Lucy ihren Namen verdankt, Angst und Selbstzweifel in die Flucht: Entdecker Donald Johanson und sein Team feierten ihren spektakulären Fund noch in derselben Nacht mit einem rauschenden Fest. Dazu sangen die Beatles vom Tonband in Endlosschleife "Lucy in the Sky with Diamonds", den berühmt-berüchtigten Song, dem eine Verbindung zur bewusstseinserweiternden Droge LSD nachgesagt wird.

"Die Paläontologen konnten richtig feiern, die Beatles auch," scheint Lucy durch ihren bemerkenswert gut erhaltenen Kiefer zu flüstern. "Vielleicht entspannst du dich einfach mal und genießt deinen freien Tag." Recht hat sie wohl, die weise, 3,2 Millionen Jahre alte Frau.

© SZ vom 27.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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