Mitten in Neuhausen:Das Gewissen als Würstchen

Lesezeit: 1 min

Muss man, um mit den Opfern des Bürgerkriegs in Syrien solidarisch zu sein, Lammwürstl Aleppo kaufen? Wenn man kein Lamm mag, reicht auch eine Hirnwurst

Von Andrea Schlaier

Ein Kollege hat das unlängst sehr treffend so formuliert: Beim Flüchtlingsthema sei es mittlerweile so wie bei der Fabel vom Hasen und dem Igel. Wo immer man hinkomme, das Flüchtlingsthema sei schon da. Dass es einem dann aber selbst an der Wurst-Theke der Metzgerei des Vertrauens in Neuhausen zuvorkommt. . . Sagen wir mal so: Die Begegnung war irritierend.

Der Blick streift vorbei am saftigen Wacholderschinken, verweilt kurz bei der Sommersalami, will schon abheben, um die lange Bratwürstl-Reihe zu überfliegen und bleibt doch hängen an einem Schild, das sich aus einer Gruppe darmumhüllter Rohlinge erhebt. "Aleppo" steht drauf, in feinem Schriftzug. Aleppo beim Schlachter? Bevor die Assoziationen blutig werden, Nachfragen bei der Dame hinter der Theke. "Was ist denn Aleppo?" - die junge Frau zeigt mit dem Finger lächelnd auf ein Schild auf dem gläsernen Podest, die Schultern kurz hochziehend: 20 Prozent des Verkaufspreises der Lammwürstchen "Aleppo", steht auf dem Täfelchen zu lesen, fließen an ein Projekt, das die Opfer des syrischen Bürgerkriegs unterstützt.

Kennt man das nicht aus einem anderen Zusammenhang? Liegt inzwischen eine Weile zurück, als ein bekannter Fernseh-Moderator dafür warb, dass mit dem Kauf eines Kastens Gerstensaft ein Quadratmeter Regenwald geschützt werde, woraufhin trinkfreudige Menschen mit einem "Saufen für den Regenwald" auf den Promi anstießen. Richter hatten dem Spot dann allerdings ein Ende bereitet, weil der die "Entscheidungsfreiheit" des Verbrauchers unzulässig einschränke, indem er ihn vor die Wahl stelle, entweder die Sorte zu kaufen oder den Schutz der Umwelt zu verweigern. Dies käme einem unerlaubten "moralischen Kaufzwang" gleich. Die starke Anreizwirkung der Werbung sei damit in ihrem Gesamteindruck irreführend.

Und wohin jetzt mit der eigenen Moral an der Neuhauser Fleischtheke? Solibeitrag Lammwürstl "Aleppo" - ja oder nein? Man kauft also ein Stück Hirnwurst und verlässt nachdenklich die Metzgerei des Vertrauens.

© SZ vom 12.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: