Mitten in München:Wenn die Zeit wie Brei vergeht

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Wer von Zuhause arbeitet, dem zerrinnen die Tage, Wochen und Monate nur so zwischen den Computer-Tasten. Welchen Tag haben wir heute? Keine Ahnung! Eine völlig andere Art der Zeitrechnung muss her, etwa: "Ich arbeite seit 1,3 Kilo Kaffee und drei Frisuren im Home-Office"

Kolumne von Johannes Korsche

Es ist viel die Rede davon, dass nun vorsichtig wieder "Normalität" versucht werde. Mal soll es eine "neue Normalität" sein, dann doch lieber eine "Rückkehr zur Normalität". Treffender wäre es, einen Begriff aus der Musik zu entlehnen: "gecoverte Normalität". Irgendwie verwandt mit dem alten Original und doch etwas Neues. Dafür, wie dieses Cover klingen könnte, findet sich schon jetzt ein Beispiel im Home-Office mit benachbarter Baustelle am Winthirplatz. Und da zeigt sich: Das gefeierte Original war - wie in der Musik - oft nur ein recht willkürlich improvisiertes Gebilde.

Zunächst das Original: Wie selbstverständlich strukturierte die Welt vor der Corona-Pandemie die Zeit in Tage, Wochen oder Monate. Auf Montag folgte Dienstag, und in sieben Tagen begann der ganze Spaß wieder von vorne. Normaler ging es nicht. Das hat die Corona-Zeit zurecht ins Wanken gebracht. Denn was sind im Home-Office schon unterschiedliche Tage? Zumal sich die einzige dem Autor bekannte Erklärung, warum gerade sieben Tage in eine Woche passen, in Paul Maars Büchern über das Sams findet. Passiert an sechs Tagen hintereinander etwas sehr Bestimmtes, kommt am siebten das Sams mit seinen Wünsch-dir-was-Sommersprossen, heißt es da. Fertig ist die Woche. Eine nette Erklärung, aber sollte man wirklich das gesamte gesellschaftliche Leben nach dem Sams strukturieren?

Zumal Maar selbst Verwirrung stiftete, als er das erste Sams-Buch 1973 "Eine Woche voller Samstage" nannte. Wer soll sich denn da noch auskennen? Vielleicht war er damit aber auch nur seiner Zeit eine Pandemie voraus. Denn gerade im Home-Office verschwimmen die Wochentage zu einem kaum unterscheidbaren Brei. Wenngleich nie zu einem Brei aus Samstagen, aber das ist eine andere Geschichte. Corona hat aber gezeigt, dass es neue Muster braucht, die Zeit zu ordnen. Zum Beispiel in Baustellen-Tage und baustellenfreie Tage. Hämmern die Bauarbeiter an der neuen Jugendherberge am Neuhauser Winthirplatz, dann wird wohl einer dieser "Werktage" sein. Welcher? Keine Ahnung. In letzter Konsequenz sind daher auch "Wochen" und "Monate" endlich ein Konzept von - Achtung, Wortwitz - gestern. Viel besser: in Kaffee-Kilos oder Frisuren rechnen. In diesem Sinne: "Ich arbeite seit 1,3 Kilo Kaffee und drei Frisuren im Home-Office."

© SZ vom 30.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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