Mitten in München:Warm anziehen

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Eine Legende besagt ja, dass die Hummel zu schwer sei, um zu fliegen, da sie das aber nicht weiß und auch nicht gut rechnen kann, fliegt sie einfach trotzdem. Und heuer, im miesen Sommer 2021, waren die bepelzten Bienencousinen laut einer Insektenzählung besonders zahlreich unterwegs. Womöglich, weil sie am wärmsten angezogen sind?

Kolumne von Wieland Bögel

Der Sommer ist offiziell beendet. Nachdem für die Meteorologen bereits mit dem September der Herbst begonnen hat, gilt das spätestens seit der Tagundnachtgleiche auch für alle anderen. Gut, besonders vermissen muss man diesen Sommer nicht, zu nass, zu kalt, einfach zu wenig sommerlich. Dazu passt eine aktuelle Mitteilung des Landesbundes für Vogelschutz. Dort hatte man wie jedes Jahr eine Insekten-Inventur initiiert und wenig überraschend waren heuer jene Sechsbeiner am häufigsten anzutreffen, die am wärmsten angezogen waren: die pelzigen Hummeln.

Denen schlägt wegen ihres Outfits ohnehin eine gewisse Sympathie entgegen. Wirken sie in ihrer wuscheligen Rundlichkeit doch immer etwas gemütlicher als die zwar sportlich-schnittigen, aber irgendwie auch anstrengenden Wespen, von denen es heuer laut Insektenzählung deutlich weniger gab als sonst. Vermutlich fehlte einfach die Gelegenheit, anstrengend zu sein: Mangels Sonne hielten sich die Kuchenesser kaum auf Terrassen und Balkonen auf. Wer sich aber in einer Regenpause doch ins Freie wagte, sah an den verregneten Blumen meist schon ein paar fleißige und wetterfest verpackte Hummeln herumbrummen.

Hummelartig verpackt kam heuer auch mancher Zweibeiner daher. Wenn man sich vorstellt, auch noch Nektar zu sammeln und fliegen zu müssen, kommt man nicht umhin, den bepelzten Bienencousinen noch mehr Respekt zu zollen, als man es ihrer erfolgreichen Negierung der Naturgesetze wegen schon tut. Eine Legende besagt ja, dass die Hummel zu schwer sei, um zu fliegen, da sie das aber nicht weiß und auch nicht gut rechnen kann, fliegt sie einfach trotzdem.

Die Wahrheit ist weitaus prosaischer. Der Rechenfehler liegt natürlich aufseiten dessen, der die Theorie von der flugunfähigen Pelzbiene in die Welt entlassen hat. Dennoch, die Vorstellung der alle Bedenkenträger ignorierenden und somit flugfähigen Hummel hält sich hartnäckig, was dann wieder den Bogen zum aktuellen Sommer schlägt, denn wie schrieb einst Karl Kraus: "Eskapismus, kein Wunder, bei dem Sauwetter."

© SZ vom 28.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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