Mitten in München:Unerfüllte Hoffnung

Lesezeit: 1 min

Fast jeder Patient, der operiert wird, hat eine Sehnsucht: Er möchte denjenigen, der ihn aufschneiden wird, gerne einmal leibhaftig zu Gesicht bekommen

Von Claudia Wessel

Welcher Patient träumt nicht von dem einen väterlichen Arzt, (gerne auch der mütterlichen Ärztin), der einerseits ein Crack auf seinem Gebiet ist, andererseits aber auch ein netter Mensch. Der Patient möchte denjenigen, der ihn aufschneiden wird, gerne einmal zu Gesicht bekommen. Es wäre für ihn schön, wenn der Mann (oder die Frau) vor der Operation an sein Bett treten und sich zu erkennen geben würde. Noch unglaublich wunderbarer wäre es allerdings, wenn er nach der gelungenen Operation bei ihm vorbeischauen und ihm gar noch Informationen über deren Verlauf geben würde.

Verständlich, dass dies in einem Großkrankenhaus nicht so einfach ist. Wer die ehrenvolle Aufgabe hat, hier einen Patienten zu begleiten, erfährt, dass es eine ziemlich unmögliche Aufgabe ist, dem Patienten den Wunsch nach dem Kennenlernen des Chirurgen zu erfüllen. Schon in der Sprechstunde vor der Terminvergabe und dem Eingriff fragt der Patient: "Operieren Sie mich?" "Wir sind ein Team", wird ihm mitgeteilt. Er, der gerade die Sprechstunde halte, sei am Operationstermin gerade in Urlaub. Nun, einer wird es schon sein.

Nein, es sind mehrere. Insgesamt fünf Chirurgen, so erfährt der Patient irgendwann nebenbei, sollen in seinem Inneren mit dem Skalpell zugange gewesen sein in den sieben Stunden, die die OP dauerte. An seinem Bett zu erkennen gegeben hat sich keiner, nicht bei einer noch so großen Visite. Da war nur der aus der Sprechstunde wieder da. Von seiner Frau hat der Patient allerdings erfahren, dass wenigstens zu ihr ein Chirurg auf der Station gesagt haben soll: "Ich habe Ihren Mann operiert." Er möchte eine genaue Personenbeschreibung, sollte derjenige ihm zufällig doch einmal unter die Augen kommen. Bis zur Entlassung wurde der Traum nicht wahr.

Nach acht Wochen muss der Patient erneut auf die chirurgische Station. Und schon wieder spricht er vor allem davon: Dass er diesmal versuchen werde, denjenigen kennen zu lernen, welcher . . . Empfangen wird er jedoch wiederum von einem unbekannten Arzt. Doch da sieht er einen Bekannten: Der Putzmann ist immer noch derselbe wie vor acht Wochen.

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: