Mitten in München:Sauerkraut im Ohr

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Nicht nur die Grippe setzt dem Menschen derzeit besonders zu. Ähnlich schwer loszuwerden sind oft genauso zufällig aufgeschnappte Gassenhauer

Von Jutta Czeguhn

Grippeviren lauern derzeit überall, in den S-Bahnen, beim Bäcker, im Lottoladen, beim Friseur. Da gilt es, Vorsichtsmaßnahmen zu beachten, also die Hände mit Seife rot zu schrubben, in die Armbeuge zu husten, ins Taschentuch zu niesen, womöglich sogar eine dieser Hygienemasken über Mund und Nase zu stülpen, wie es die Japaner tun oder weiland Michael Jackson. Irgendwann wird auch diese Pandemie vorbeigezogen sein.

Kein Kraut gewachsen ist hingegen gegen eine saison- und wetterunabhängige Seuche, die einen überall anfallen kann. Schutz gibt es kaum. In der Regel genügt schon ein winziges Stichwort, und man hat ihn sich eingefangen - den gemeinen Ohrwurm. Neulich berichtete eine Bekannte von einer besonders fiesen Attacke, die sie völlig unvorbereitet traf: Ein Freund habe ihr am Telefon in aller Ausführlichkeit vom besonders schmackhaften Sauerkraut vorgeschwärmt, das er auf dem Viktualienmarkt erstanden hatte. Vergnüglich trällerte er dazu den zu Unrecht unvergessenen Gus-Backus-Schlager "Ich esse gerne Sauerkraut und tanze gerne Polka". In Dauerschleife hing der Song nun als akustischer Ballaststoff im Hirn der Bekannten. Weitere schwer verdauliche Textzeilen drangen aus den Untiefen des Gedächtnisses nach oben: "Und meine Braut heißt Edeltraut, sie denkt genau wie ich". Dem Wurm war nicht beizukommen, nicht einmal durch exzessive Besuche in der Staatsoper oder dem Gasteig.

Über Tage hüpfte und polterte ihr das Sauerkraut im Gehörgang herum, bis sie sich schließlich dazu entschloss, mit ihrem Problem radikal offen umzugehen. Vielleicht würde sich der Ohrwurm einen anderen Wirt suchen. Doch je mehr Leuten sie davon erzählte, desto mehr Würmer handelte sie sich selbst ein. Grauenerregender noch als ihr eigener: "Ich hab' ein knallrotes Gummiboot" oder "Die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe".

Hirnforscher raten, derlei Folterlieder gnadenlos bis zum Ende durchzuhören, um so den Spuk zu bannen. Im Fall der Sauerkrautpolka, mit der die Bekannte auch andere arme Menschen infizierte, hilft nur eines, um die Ohren durchzuputzen: die Cover-Version der "Toten Hosen".

© SZ vom 01.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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