Mitten in München:Rücksicht ist Bürgerpflicht

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Es könnte so schön sein: Laue Abende im Freien, gute Gespräche. Dann aber muss man gegen kleine, laute Dinger namens Bluetooth-Boxen anschreien, die von der Lautsprecher-Rüstungsindustrie unters Volk gebracht werden. Und erfährt leidvoll, dass die Lieblingsmusik des einen für den anderen die reinste Qual sein kann

Von Johannes Korsche

Die Münchner verhalten sich bei Sonnenschein wie Motten. Dem Licht entgegen. In jeder freien Minute - in der Mittagspause oder nach Feierabend - wird der Kopf nach den Sonnenstrahlen ausgerichtet, stets auf der Suche nach Entspannung und Ruhe vom Arbeitsstress. Doch mit der Ruhe ist es derzeit an den beliebten Münchner Ruheplätzen so eine Sache. Egal, ob im Englischen Garten, am Flaucher oder am Nymphenburger Kanal: Überall ist es das Gleiche. Überall nimmt ein kleines, unschuldig aussehendes Gerät umsitzende Münchner in akustische Geiselhaft: die Bluetooth-Box.

Es ist verständlich, dass vor allem jugendliche Gruppenausflügler diesem Trend erliegen. Wirbt doch ein Hersteller dieser Gesandten aus der Vorhölle mit dem Spruch: "Lauter als groß". Ein anderer Rüstungskonzern aus der Lautsprecher-Industrie beschränkt sich auf das Offensichtliche. Die Bluetooth-Boxen eignen sich hervorragend, "damit Du auch auswärts Deine Lieblingsmusik hören kannst." Das klingt natürlich ganz wunderbar. Aber: Des einen Lieblingsmusik hat es mitunter an sich, dass sie für andere an Körperverletzung grenzt.

Es soll ja Leute geben, die bei einem kostenlosen Live-Auftritt von Helene Fischer im Berliner Olympiastadion lautstark das Pfeifen anfangen, während andere wenige Wochen später für ein Konzert der Sängerin an selber Stätte bereitwillig bis zu 379 Euro ausgeben. Geschmäcker sind also verschieden - ein Klischee, aber dennoch unbestreitbar richtig. Aber warum verfügen so viele Münchner trotzdem über dieses unerschütterliche Selbstvertrauen in ihre Hörgewohnheiten, dass sie die Ohren ihrer Mitmenschen geißeln müssen?

Letztlich wünscht man sich von den Umweltverschmutzern schon eine Entscheidung. Geht es um den Musikgenuss an frischer Luft, gibt es eine bessere Lösung: Kopfhörer. Geht es darum, mit seinen Freunden unterwegs zu sein, gibt es eine weitaus schönere Alternative: ein Gespräch. Wenngleich mancher sicher nichts gegen ein Schweigegelübde auf öffentlichen Plätzen hätte.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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