In München, so kommt es einem jedenfalls vor, hat der Wahlkampf länger als anderswo gedauert. Seit dem Frühsommer durften die Kandidaten ihre fröhlichen Gesichter und Wahlsprüche an den Straßenrändern präsentieren. Viele ganz unterschiedliche Plakate säumten das Stadtbild. Nahezu automatisch scannte man in den vergangenen Wochen seine Umgebung nach neuen Motiven ab, sobald man seine Wohnung verließ - immer in der Hoffnung, sie mögen noch besser sein als die alten. "Politik mit Neuwagengeruch", "Du willst es? Dann wähl es" oder "Alle reden über Sex, wir über sechs Prozent" - solche Lyrik darf als Streetart gelten. Und die will der Stadtrat ohnehin stärker fördern, wie er unlängst beschlossen hat.
Diese Art von Straßenkunst aber ist jetzt erst mal vorbei, die Landtagswahl ist Geschichte. Dabei hat man die bunte Kleberei nicht bloß zum Zeitvertreib genossen. Die Wahlplakate haben einem auch die Orientierung erleichtert. Im Westen zum Beispiel ist nun endlich bekannt, wo Pasing aufhört und die Blumenau anfängt - genau da, wo die Plakate von Münchens Bürgermeister Josef Schmid denen von Digitalminister Georg Eisenreich entgegenlachten. Wer von dort aus weiter wanderte, kam ins Territorium des Grünen Ludwig Hartmann (Schwanthalerhöhe), ins SPD-Land von Isabell Zacharias (Altstadt) und schließlich bis nach Giesing ins Viertel von Michael Piazolo von den Freien Wählern.
Das alles kann man sich viel besser merken als die Namen von gesichtslosen Kreuzungen und Straßen. Nun beginnt also wieder die Zeit der Orientierungslosigkeit, in der man sein Smartphone braucht, wenn man sich verlaufen hat. Aber es gibt Hoffnung: In 223 Tagen findet die Europawahl statt. Die Plakate werden einem dann mangels Stimmkreisen zwar nicht den Weg weisen, aber einen immerhin unterhalten. Bestimmt.