Mitten in München:Otello und die Mikrowelle

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Der venezianische Feldherr befuhr einst die Weltmeere und kehrte siegreich heim. Hätte er die Münchner S-Bahn benutzen müssen, wäre er zum Gefangenen geworden

Kolumne von Jutta Czeguhn

Anfangs redet die Frau leise in ihr Smartphone, auf Türkisch. An einer Stelle des Gesprächs fällt das deutsche Wort "Mikrowelle". Zwischen ihr und dem Menschen am anderen Ende der Leitung kommt es nun offensichtlich zu Kommunikationsproblemen, sie wird lauter, ungehaltener im Ton, es muss um die "Mikrowelle" gehen, so oft wie sie das Wort wiederholt. Ziemlich abrupt legt sie auf, verdreht ihre Augen und raunt nur, diesmal auf Deutsch: "Männer!". Ein paar Mundwinkel zucken im Abteil. Wenn ihr Mann eine warme Abendmahlzeit will, wird er das mit dem Essenaufwärmen wohl alleine hinbekommen müssen. Denn es ist 18.39 Uhr, und seine Frau sitzt für unabsehbare Zeit in der S-Bahn fest, wieder mal irgendeine kapitale Störung zur Unzeit.

Der Fahrer der S 8 solidarisiert sich mit den Reisenden und unterlegt seine Durchsagen mit spaßigem Zynismus. Keine Ahnung, wann und ob es weitergeht, und wenn, dann bestimmt nicht schneller als mit 15 Stundenkilometern. Soll so viel heißen wie "Hey, Leute, ich will auch nach Hause, wir sitzen hier alle in einem Boot". Nur dass man auf dem Wasser zumindest paddeln könnte.

Der Zug in Richtung Innenstadt kommt nur kriechend vom Fleck, Laim ist immerhin in Sicht. Wie immer in solchen Krisenmomenten werden die Leute gesprächig und beginnen, Leidensgeschichten auszutauschen. Ein Werkschutzmitarbeiter klagt, dass er es sich gerade auf ewig mit seinem Kollegen verscherzt, der auf seine Ablösung wartet. Ein junges Paar mit viel Gepäck muss den Flieger nach Indien erreichen, doch ihre Chancen schwinden von Sekunde zu Sekunde. Immerhin ist die S-Bahn mittlerweile in den Bahnhof Laim eingefahren. "Unser Zug hat jetzt 55 Minuten Verspätung", lässt der Fahrer wissen, sein Zynismus geht langsam in Sadismus über.

Wie oft das denn so passiere mit den S-Bahn-Störungen, will eine Frau wissen, die deutlich nicht von hier ist, und wundert sich, dass um sie herum alle in hysterisches Lachen verfallen. "So, aus, Schluss, das war's! Jetzt hat er grad' das ,Esultate!' gesungen", schnaubt im Mörderton ein älterer Herr mit Blick auf seine teure Armbanduhr. Die glänzend polierten Schuhe legen nahe, dass er unter dem Wintermantel ziemlich fein gewandet ist. Seine schicke Frau scheint einer Ohnmacht nahe. Verständnislosigkeit im Abteil. "Wer hat was gesungen?", wagt schließlich jemand zu fragen. "Na, der Kaufmann im Otello, wir müssten längst in der Oper sein, ungeheuerlich!", empört sich der Herr, der nach Parkettplatz aussieht und der Deuschen Bahn nun bestimmt - freilich aussichtslos - seinen Hausanwalt auf den Hals hetzt.

Wir haben Otello-Karten für den 2. Dezember. Bitte, liebe S-Bahn, an diesem Abend zwischen 18 und 19 Uhr ausnahmsweise keine Betriebsstörung. Büüüüütöööö!

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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