Mitten in München:Hunger ist des Rätsels Lösung

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Warum fährt die U-Bahn nicht weiter? Ein kleines Mädchen im Buggy hat da seine ganz eigene Erklärung.

Von Berthold Neff

Man weiß es ja, dass Kinder schon im ganz zarten Alter äußerst ungeduldig sind und stets etwas zum Knabbern, Nuckeln, Lutschen oder Spielen brauchen und im Auto, kaum dass man die Tiefgarage Richtung Urlaub verlassen hat, schon fragen: Wann sind wir endlich da? Mit diesen elementaren Bedürfnissen gleichen sie dem erwachsenen Fahrgast in der U-Bahn durchaus, denn auch dieser muss ständig etwas in den Händen halten, damit ihm nicht langweilig wird. Einiges davon wandert von dort auf schnellstem Wege in den Mund.

Smartphones sind von diesem Gang aller Dinge natürlich ausgenommen, auf denen spielen die Kinder, die Jugendlichen und die Erwachsenen bloß rum, denn: Wie sollten sie die etwa 20 Minuten bis zur Haltestelle Sendlinger Tor sonst hinter sich bringen? Gut, man kann diese ansonsten vergeudete Lebenszeit auch noch zum Frühstücken nutzen, wofür zu Hause in der Hektik des Aufbruchs keine Zeit mehr war. Also: vorsichtiges Nippen am Coffee-to-Go, energisches Knabbern an einem Croissant, bis sich die fettigen Krümel diskret über die Sitzfläche verteilen, einige greifen zu Selbstgeschmiertem aus der Tupperware-Box.

Olfaktorische Probleme treten bei solchem Heißhunger in den Morgenstunden noch nicht auf. Die schlagen erst gegen Mittag massiv zu, wenn die Butterbreze vom Frühstück dem mit Zwiebeln und Knoblauch angereicherten Döner oder aber einem vor sich hin dampfenden Leberkäs weicht. Und dann bleibt die U-Bahn plötzlich an der Implerstraße stehen. Und steht und steht.

Das kleine Mädchen in dem Buggy mit Regenschutz beobachtet alles um es herum. Lesen kann es noch nicht, deshalb kann es die Nachricht auf dem Laufband am Zugzielanzeiger nicht verstehen: "Nach einer vorhergehenden Betriebsstörung kommt es auf der Linie U 3/U 6 noch zu Verspätungen und Abweichungen im Fahrplanablauf." Deshalb muss es auch nicht über der Frage grübeln, ob Verspätungen auch vor einer Betriebsstörung möglich sind - prophylaktisch sozusagen.

Also muss es selber drauf kommen, warum hier schon seit fünf Minuten nichts vorangeht. Der U-Bahn-Fahrer hilft nicht; er hüllt sich wie so oft in Schweigen, vielleicht kennt er den Grund des Stillstandes selber nicht. Die Kleine schaut sich nochmals mit großen Augen um und nimmt zur Kenntnis, dass von den sechs Fahrgästen, die sie aus ihrem Buggy sehen kann, vier eifrig mit Essen und Trinken beschäftigt sind. Und dann weiß sie auf einen Schlag, warum die U-Bahn nicht losfährt. "Der Fahrer muss sicher auch essen", sagt sie, und alle lachen. Als sich die Gesichter halbwegs wieder geglättet haben, ruckelt die U-Bahn zögerlich los. Und plötzlich strahlt die Kleine: "Jetzt hat er endlich aufgegessen!"

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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