Mitten in München:Gleich raucht's

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Das lange Warten auf die U-Bahn und das zusammengepferchte Fahren ist Gesprächen sehr dienlich, wenngleich sie nicht immer freundlich sind

Von BERTHOLD NEFF

Es hat sich ja bei den Nutzern des öffentlichen Personennahverkehrs eingebürgert, ausdauernd wahlweise über die Bahn, die MVG oder den MVV zu schimpfen, wenn mal wieder etwas schiefgegangen ist. Man muss jedoch zugeben, dass nichts der Kommunikation so zuträglich ist wie das Warten auf die U-Bahn oder das sorgenfreie Zusammenstehen, weil einen ja der Bauch des Nebenmanns bei jedem Bremsmanöver sanft auffangen würde. Bei solcher Nähe ist es zwangsläufig, dass man ins Gespräch oder sogar in den Streit findet - so wie am gestrigen Dienstagmorgen.

Seit etwa einer halben Stunde warten die Fahrgäste am Bahnsteig der Station Haderner Stern auf die U 6 Richtung Marienplatz. Eine Frau auf der Sitzbank raucht in aller Seelenruhe. Nun gut, man hätte was gesagt, wenn es eine filterlose Zigarette gewesen wäre, aber es ist so eine moderne, elektrische. Der Dampf, geschwängert mit Substanzen, die man nicht kennt, steigt auf und in die Nase. Wenn man bloß wüsste, wie Nikotin schmeckt. Oder sind da andere Drogen drin? Egal. Die U-Bahn kommt endlich, eine Schulklasse applaudiert.

Es gibt sogar noch Plätze. Die rauchende Frau, modischer Kurzhaarschnitt, um die 50, die Arme rot vom Sonnenbrand, findet einen Platz auf der Dreier-Sitzbank. Der Typ in kurzen Hosen links neben ihr, der gerade sein To-Go-Frühstück beendet, hat sein rechtes Bein über das linke gelegt, sein Knie kommt ihrem Kleid bedrohlich nahe, berührt es aber nicht. Indigniert schaut sie mehrmals zu ihm hin, er reagiert nicht. Die U-Bahn wird immer voller, am Harras steht sie eine gefühlte Viertelstunde. Dann blafft die Frau den Mann an. Was er sich dabei denke, sich so hinzufläzen?

Na ja, dann sagt man doch etwas. So in der Art: Sie selber habe aber auf dem Bahnsteig geraucht. Sie retourniert, man sei ahnungslos. Man antwortet: Auch elektrische Zigaretten stören. Beim Aussteigen sagt einem eine ältere Dame: "Danke." Warum? Weil man ihr den Platz überlassen hat. Ist offenbar so selten wie das Rauchen in der U-Bahn.

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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