Mitten in München:Die Stadt der echten Dörfer

Lesezeit: 1 min

Manchmal fragt man sich, ob Hamburger und Münchner noch alle Fischmesser und Leberknödelsuppenlöffel im Besteck haben, unablässig ihre Urbanität miteinander zu vergleichen

Von jürgen wolfram

Wer hat denn nun den besseren Konzertsaal, die schnellere S-Bahn, die höhere Museumsdichte? Manchmal fragt man sich, ob die Hamburger und Münchner noch alle Fischmesser und Leberknödelsuppenlöffel im Besteck haben, unablässig ihre Urbanität miteinander zu vergleichen. Bemühungen sind das, ungefähr so sinnvoll wie die Entfesselung eines sportlichen Wettbewerbs zwischen Handballern und Fußballern. Wahre Konkurrenzen werden intern ausgetragen, etwa auf diesem Feld: Welches ist das rustikalste Viertel im Stadtverband?

In München reicht es sicher für Aubing zu einem Spitzenplatz im Ringen um die Dorfkrone. Hier wählt man nicht nur massenhaft eine konservative Partei, sondern fährt mit selbiger auch noch in Scharen zum Törggelen nach Südtirol - eine in Bayern honorige Art der Traditionspflege. Ländlichen Stolz bewahrt hat sich ebenso Feldmoching, wo ein "Gesamtverein" die Schützenscheibe der Identität hoch hält und auf angestammte Gepflogenheiten achtet. Die sind weniger von Weltstadtflair kontaminiert als von Bräuchen, die an Schneizlreuth erinnern. Aktuelle Eventhöhepunkte des alpinen Vorpostens: Luftgewehrschießen, Schlachtschüsselessen.

Während in seinen Baulücken die Mehrspänner sprießen, wird auch Solln nicht müde, sich als Dorf in der Stadt zu preisen. Seit den 1990er-Jahren, als die Eingliederung in den Bezirk 19 anstand, schallt die Parole "Solln soll Solln bleiben" über den Fellererplatz. Dazu hält ein starker Maibaumverein die Fahne hoch. Bleibt nur die Frage: Ergeben 24 000 Einwohner noch ein Dorf?

Wahre Hüter bukolischer Reminiszenzen sind die Forstenrieder, obwohl man ihrem Viertel die Traditionsverbundenheit nicht sofort ansieht, wenn man auf der Liesl-Karlstadt-Straße im Stau steht. Ein Blick ins Programm der führenden Vereine jedoch schafft Klarheit. An diesem Mittwoch zelebrieren sie eine Hubertusmesse. Diese erinnert an die Geschichte des Forstenrieder Parks als Jagdrevier der Wittelsbacher - Beginn im 14. Jahrhundert. Noch Zweifel, wo das Traditionsbewusstsein wohnt?

© SZ vom 04.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: