Mitten in München:Die spinnen, die Spinnen

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Gehen Spinnen jetzt schon in der U-Bahn auf Beutejagd? Ein sorgfältig gehäkeltes Spinnenetz gleich neben der Tür lässt den Gedanken daran gar nicht mal so abwegig erscheinen

Von Berthold Neff

Du zwängst dich zur Stoßzeit in die U-Bahn und verdrehst ob des atemberaubenden Gedränges nicht nur kurz die Augen, sondern auch den Kopf. Nur so nämlich ist die Haltestange zu erreichen, die für Leute ohne Gardemaß eindeutig zu hoch angebracht ist. Und noch bevor alles Blut aus dem ausgereckten Arm entwichen ist, fällt es einem ins Auge: Dort oben, gleich neben der Tür, am Anfang der Lichtleiste, prangt ein sorgfältig gehäkeltes Spinnenetz. Es dient, wie man sich aus dem Biologieunterricht dunkel erinnert, vorwiegend dem Beutefang.

Der überraschende Fund gibt einem etliche Fragen auf. Zum einen fragt man sich, was gibt es hier zu holen? Welche Insekten sollen der achtbeinigen Webspinne, die bekannteste Ordnung der Spinnentiere (Arachnida) dort oben ins Netz gehen? Und wie schafft sie es, trotz des wabernden Elektrosmogs, der sich aus den unzähligen, liebevoll gestreichelten Smartphones speist, ihr Netz aus Spinnenseide so bildschön zu vollenden?

Da die Baumeisterin nicht in Sicht ist und somit nichts zur Lösung dieser Rätsel beitragen kann, ist man bei der Wahrheitsfindung auf sich allein gestellt. Man kombiniert also: So eine Spinne muss ungestört sein, um ihr Werk zu vollenden, Zeit braucht sie dafür auch. Beides hätte sie zur Genüge auf jenem Gelände der Firma Siemens am Niederrhein, auf dem 21 einst nagelneue Münchner U-Bahnen des Typs C 2 tapfer auf jenen fernen Tag harren, an dem ihnen die Regierung von Oberbayern das Recht erteilen wird, unsereins durch den Untergrund zu kutschieren. Seit drei Jahren warten sie darauf. Genug Zeit also für eine Spinnen-Armada, auch noch den letzten Winkel zu vernetzen.

Leider muss man zugeben, dass die Realität eine andere ist. Der Wagen, in dem wir mit Blick auf das Netz ins Spintisieren gekommen sind, ist keiner des Typs C 2, der probehalber und ausnahmsweise schon auf die Münchner Schienen durfte. Bleibt also nur zu konstatieren, dass die Natur auch im Untergrund an ihren Geheimnissen festhält. Dass die U-Bahn nichts für Klaustrophobiker ist, wussten wir schon vorher. Neu ist nur, dass die U-Bahn ein Ort ist, den auch Menschen mit einer akuten Arachnophobie tunlichst meiden sollten.

© SZ vom 17.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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