Mitten in Haidhausen:Wunderbare Täuschung

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Selbst wer sicher ist, seine Pappenheimer unter den Autofahrern zu kennen, erlebt manchmal eine Überraschung

Von Nicole Graner

Als Autofahrer glaubt man, so seine Pappenheimer zu kennen, hat die Pkw-Kollegen im Geiste schon längst in Schachteln gepackt und diese mit den passenden Aufschriften versehen: Fahrer mit Hut. Das Urteil: Sie kriechen dahin, schauen nicht rechts, nicht links und selbstverständlich auch nicht nach hinten. Nur geradeaus, denn da wollen sie ja hin. Oder Fahrer aus Fürstenfeldbruck: Sie können, wie man inzwischen weiß, gar nicht Auto fahren. Audi-Fahrer: Vorwiegend Menschen im Anzug und Drängler auf Autobahnen. Das gilt auch für die Kategorie Mercedes- und BMW-Fahrer. Und Frauen als Fahrer. Aber da schweigt die Autorin jetzt lieber. Also noch einmal für alle, die sich jetzt vielleicht selbst in den Kategorien zu entdecken glauben: Jeder kann seine Schachteln natürlich nach Belieben und Erfahrung selbst beschriften, selbst urteilen.

Doch wie gut, wenn die Ordnung der schön geordneten Kartons durcheinander gebracht wird. Zum Beispiel in der Kategorie BMW-Fahrer. Denn da gab es vor kurzem einen, der alle Vorurteile mit einem Schlag zunichte machte. Vor dem Gasteig auf der Rosenheimer Straße: Die Ampeln schalten auf Rot. Die Autos bremsen. Auch ein BMW. Auch ein Skoda. Doch weil die Straße leicht bergab geht, rollt der Skoda leicht Richtung BMW und touchiert diesen sanft.

Dann schalten die Ampeln auf Grün. Beide müssen losfahren, sonst staut es sich. Man verständigt sich mit Blinkzeichen, bei der nächsten Gelegenheit rechts ran zu fahren. Man stoppt. Kurz lüpft die Skoda-Fahrerin im Geiste den Deckel der Schachtel, Kategorie BMW-Fahrer, und denkt: Auweia, das ist sicher ein Herr in feinem Zwirn. Er wird schimpfen, sein Auto fundamental verstümmelt sehen. Was mach' ich da bloß, wie komme ich aus dieser Nummer raus?

Aber heraus steigt - von wegen Anzug, feiner Zwirn und so - ein Mann mit Wollmütze und Anorak. Lachend. "Ich habe gebremst", sagt er. "Ich auch", sagt die Frau, "aber nicht gut genug". Der Mann lacht. Man beugt sich zu den Stoßstangen hinunter und entdeckt nichts. Doch da. Zwei Mini-Mini-Dellen. Jetzt, denkt sich die Frau, kommt's bestimmt: die Forderung nach der Polizei, nach dem Adressenaustausch, nach der Versicherung, die übliche Schimpferei noch dazu.

"Was ist denn bei Ihnen passiert?", fragt der Mann, beugt sich zum Skoda hinunter und leuchtet mit der Handy-Taschenlampe die Autospitze des Skoda ab. Nichts. "Und Ihre Dellen?", fragt sie. "Wollen Sie keine Karte von mir?" Der Mann lacht. Die Frau lacht. "Das passt schon. Alles gut", sagt der Herr mit Wollmütze. "Tschüss, einen schönen Abend noch." Er steigt ein und braust davon. Zurück bleibt eine staunende Autofahrerin, die ihre Klischees ordentlich neu sortieren muss. Wie schön!

© SZ vom 15.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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