Mitten in Haidhausen:Nächtliche Fastenzeit

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Es ist überhaupt kein Problem, enthalsam zu sein und Verzicht zu üben. Man muss nur den Zeitraum, in dem diese hehren Vorsätze gelten, sortfältig definieren

Von Claudia Wessel

Charles Noll, genannt Charly, hat es in der Fastenzeit nicht leicht. Normalerweise hat der Wirt des Tanzlokals "Maratonga" im Hofbräukeller am Wiener Platz den Laden und die Gäste fest im Griff - vor allem an den Wochentagen, wenn er selbst bedient und Bier zapft und Pizza heiß macht. Da viele der Anwesenden Stammgäste sind, kennt er ihre Getränkewünsche seit Jahr und Tag auswendig. Lassen sich beispielsweise die beiden Paare an dem Tisch an der Tanzfläche nieder, kann er ohne weiter zu fragen gleich vier Weißbier bringen. Die Damen an der vorderen Bar haben ein Abo auf Aperol Spritz, der Herr, immer ganz hinten in der Ecke, liebt Rotwein. Und die Clique in der Mitte gönnt sich meist gemeinsam ein Fläschchen Prosecco, ein Grund zum Feiern kommt dann schon dazu.

Indem er die bewährten Getränke immer gleich serviert, wenn er einen Gast sieht, kann sich der Wirt an einem Abend einige Kilometer sparen, schließlich ist er mindestens fünf Stunden lang von Tisch zu Tisch unterwegs. Seit Aschermittwoch allerdings kommt er ins Schlingern. Da passiert es des öfteren, dass er bereits mit einem wunderschönen, frischen Weißbier beim Gast am Tisch steht, dieser aber bedauernd den Kopf schüttelt. Oder er den üblichen Weißwein hinstellen will und wieder weggeschickt wird. Es sei doch jetzt Fastenzeit und man trinke keinen Alkohol. Bis wann, fragt Charly dann ungläubig, und er hofft, dass die Verkündigung "bis Ostern" nicht wahr werden wird. Nicht nur, weil er sonst völlig aus seinem Konzept kommt, sondern auch, weil es selten vorkommt, dass jemand an einem Abend vier Wasser trinkt.

Manchmal aber hat Charly auch Glück mit den Fastenwilligen. So schickte ihn ein Liebhaber von dunklem Weißbier traurig wieder weg. Doch schon wenig später änderte der Gast seinen Vorsatz: Er habe gerade beschlossen, nur zu Hause nichts mehr zu trinken, wenn er ausgehe, dagegen schon. Nach dem dritten dunklen Weißbier an jenem Abend kam ihm dann die endgültige Erleuchtung: Eigentlich reiche es ja schon, dass er nachts keinen Alkohol trinkt. Das fand der Wirt dann auch.

© SZ vom 23.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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