Mitten in Haidhausen:Entdeckungsreise am gachen Steig

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An der Ludwigsbrücke ist es manchmal schwierig, den Kurs zu halten. Das liegt nicht nur an der Baustelle

Glosse von Andrea Schlaier

Das sind Abenteuer: Eine Station früher aussteigen, damit die Stadtrand-Eier auch mal sehen, ob sie nach 17 Monaten noch den Weg finden. Vom Isartor zum Gasteig. Und prompt: verlaufen sie sich. An der Baustelle Ludwigsbrücke falsch eingefädelt. Lustig. Nach Monaten in der heimischen Office-Bude braucht's nicht viel zur Erheiterung, die Ansprüche sind diametral zum anschwellenden Isarwasser gesunken. Wir halten außerdem fest: Die Ludwigsbrücke ist auch mit monströsem Sanierungskorsett kein Schmuckstück. Aber sie hat innere Werte. Ohne den Flussübergang an dieser Stelle gäbe es München nicht, jedenfalls so, wie man es heute kennt. Das hat ein für seine Gescheitheit und Geschichtskunde bekannter Kollege im ersten Lockdown ein paar Seiten weiter vorne im Blatt festgehalten. Fürs Hinschauen muss sich da also kein Mensch nicht schämen. Die eigene Stadt anzusehen ist so entdeckungsreich wie den eigenen Mann zu studieren, nach seiner Rückkehr vom Friseur. Eine echte Begegnung.

Weiter geht's mit dem Schlendrian auf die andere Seite des Flusses, hinein in das Gässchen Am Lilienberg, das mit jedem Schritt immer grüner, enger, verwunschener wird bis hin zum Treppenabgang. Hier herum, da herum, bis zur Halluzination wie aus den Sechzigerjahren: unten am Wasser ein Garagenhof, ein guter alter ohne Charme und Schnösel. Rechter Hand gleich hinterm Flaschenhals-Zugang gärtnerisches Vorgartengehege, eine Frau unterm Sonnenschirm, die Beine übereinandergeschlagen, Zeitung auf Papier lesend. Postkartengrüße aus dem Hinterhof. Auf den sommerfrischlerhaften Zuruf, wie idyllisch sie es hier doch habe, erwidert sie mit baierscher Großmut, also übersichtlich: "Woas scho."

Gasteig war das eigentliche Ziel, richtig. Zurück auf den Pfad, um gleich wieder davon abzukommen. Gegenüber vom Klinkerklotz am Berg spreizt sich ein Buchladen in den Blick, Karten hat der in den Ständern vor der Tür, so schön wie keiner in der Randstadt. Fünf Minuten bis Ladenschluss, husch, alles aus den Stellagen gezupft, was Klasse hat und an die Kasse. Der Buchhändler studiert eine nach der andern, schaut auf, hält den Blick, als gäbe es eine Entdeckung. "Falls Sie auch mal was lesen wollen, hätte ich eine Empfehlung für Sie." Was lesen? Will der einen beleidigen? "Was denn?" Der Herr in Grau-Melange geht ein paar Schritte nach hinten, bückt sich tief und zieht den Roman eines Choreografie-Gotts aus dem Regal. "Warum empfehlen Sie mir das?" "Wenn Sie es gelesen haben, denken Sie vielleicht, was für eine besondere Empfehlung, und kaufen noch ein Buch bei uns, wenn Sie mal wieder des Weges kommen."

© SZ vom 03.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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