Mitten in Haidhausen:Die Rückkehr des "Du"

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In gleichem Maße, wie die Haut an Elastizität verliert, stellen die Mitmenschen das Duzen ein. Ist man mal ans "Sie" gewöhnt, kommt einem alles andere komisch vor

Von Franziska Gerlach

Ende der 80er Jahre war ein "Du" eine glatte Beleidigung. Das war die Zeit, als die Coolen aus der Schule im Kino bereits in Filme ab 16 Jahren eingelassen wurden, obwohl sie gerade einmal 13 waren. Einem selbst blieb der Zutritt selbstredend verwehrt. So sehr man auch in den Schminktopf griff: Man verpasste Kevin Kline mit Schnauzbart in "Ein Fisch namens Wanda", und auch Tom Cruise schüttelte in "Cocktail" den Shaker nur für die anderen, die natürlich am nächsten Tag auf dem Schulhof in epischer Breite vom Kinoerlebnis berichteten. Das schmerzte, und man konnte nur inständig hoffen, dass niemand gesehen hatte, wie man selbst wieder einmal an der Kasse gescheitert war.

Heute sind einem die meisten Klassenkameraden egal. Und im gleichen Maße, wie die Haut an Elastizität verloren hat, stellten die Mitmenschen auch das Duzen ein. Beim Einkaufen wird man als "Dame" angesprochen, und wenn es ganz schlecht läuft, machen die Schulkinder im Bus sogar höflich einen Sitzplatz frei. Höchstens das von Zugereisten gerne mal fehl interpretierte "Münchner Du" bekommt man zu hören.

Doch nach Jahren an der Isar geht "Schmid, ruf mal ein Taxi" oder "Du, Frau Mayer" einfach nicht mehr als Kompliment durch.

Und dann, eines Tages, man hat sich längst angefreundet mit dem "Sie", da kommt das echte Du zurück. "Willst du auch ein Stück Kuchen?", fragt die Bedienung eines Haidhauser Cafés. "Nein", sagt man, etwas perplex, und blickt sich um an diesem Ort: Wie in einer Puppenstube sieht es aus, niedliches Geschirr und niedlich angerichtete Speisen. Nur eines passt nicht zu diesem Konzept der Niedlichkeit: die Erwachsenen. Da hilft das ganze Duzen nichts, denkt man, und packt zusammen - inständig hoffend, dass einen niemand gesehen hat.

© SZ vom 02.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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