Mitten in Hadern:Wenn jede Beere zählt

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Wenn die Zeit der Ernte naht, freut sich der Mensch - und mag mit seinen gefiederten Freunden partout nicht teilen

Von BERTHOLD NEFF

Die Zeichen stehen auf Verzicht. Deutschlands Bauern vermelden sinkende Erträge bei Weizen, Gerste und Roggen, Öko-Winzer beklagen wegen des feucht-schwülen Wetters den Verlust ganzer Weinberge wegen des Mehltaus. Kein Wunder also, dass auch der Hobby-Winzer, der in seinem Vorgarten ein paar Weinstöcke kultiviert, auf jede Beere achtet.

Damit ist er fatalerweise nicht allein. Schwarze Geschöpfe mit gelben Schnäbeln kreisen schon seit Tagen wie die Aasgeier rund ums Spalier, weil sie dort auf reiche Beute hoffen. Die Amseln, die uns im Frühjahr durch ihren Gesang erfreuten, werden in diesem Futterneid-Konflikt zum Ärgernis. Sie hüpfen über den Rasen und schielen dabei immer wieder nach oben. Sie warten geduldig, bis die Bläue der Beeren ihnen einen Ansatz von Süße verheißt. Offenbar befürchten sie, dass zu viel Säure ihre Schnäbel verätzen könnte. Das würde die Qualität ihrer künftigen Gesangseinlagen schmälern und den Männchen, die damit ja Partnerinnen ködern wollen, die Fortpflanzung vermiesen.

Am Wochenende häuften sich die Flatter-Attacken auf die Trauben derart, dass Sofortmaßnahmen nötig wurden. Das Netz, das sich nun um das Spalier spannt, sichert den Trauben das Überleben bis zur Weinlese im Herbst. Die Amseln wiederum werden auf die Früchte des Prunus laurocerasus ausweichen. Die Beeren des Kirschlorbeers schmecken, wenn man der Fachliteratur vertrauen darf, süß und haben einen bitteren Nachgeschmack. Die Probe aufs Exempel zu machen, verbietet sich für Menschen, da die schwarzen Beeren ein cyanogenes Glykosid enthalten, das sogar Atemstillstand bewirken kann. Amseln sind dagegen offenbar immun.

Bleibt nur die Frage, ob sie ihre Speisekarte nun, da ihnen die Trauben verwehrt bleiben, verfeinern. Wir raten zum Verzehr möglichst vieler Nacktschnecken. Zur Belohnung zaubern wir dann etliche Traubenhenkel hinter dem Netz zum Picken hervor.

© SZ vom 23.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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