Mitten in der Messestadt:Die Träume der Landratten

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Eine Seefahrt, die ist lustig: Fast genauso amüsant ist es aber, bei der Münchner Kreuzfahrtmesse Prospekte einzusammeln und die Vorfreude der Reisenden zu beobachten

Von Thomas Kronewiter

Über eines wird bei dieser Münchner Kreuzfahrtmesse kaum gesprochen: übers Geld. Nicht über die Tausende von Euro, die für zehn luxuriöse Tage auf einem Schiff einer monegassischen Reederei zu überweisen wären, wofür der smarte Verkaufsleiter im Gegenzug immerhin jedem Gast einen Butler verspricht. Nicht über die Preise auf dem Schiff des Kollegen, dessen Unternehmen auf alles, was mit Wasser zu tun hat, bekanntermaßen regelrecht "verrückt ist". Der sich aber schwer tut, den Anteil der Nebenkosten beim Törn einigermaßen zu beziffern.

Dafür geht es in der Wappenhalle der Messestadt Riem permanent um "Produkte", "tolle Produkte", "herausragende Produkte". Das eine oder andere Mal heißt es auch, man wolle nun gar nichts sagen gegen das Produkt der Kollegen, die da eben das oder jenes versprochen hätten, aber . . . Man kommt nicht umhin bei diesem Schaulaufen einer Industrie, die offenbar nur Wachstum kennt und deshalb natürlich bestens nach München passt, als sich auch die Besucher der Vorträge genauer anzusehen.

Da ist die Frau Anfang oder Mitte 40 im auffallenden Glitzerkostüm, die sich wahrscheinlich die gehobene Balkonkabine leisten kann. Der ältere Herr, der da eben seine abgewetzte Tasche und den Stoffbeutel probeweise anhebt, um das Gewicht auszutarieren ("Ich hab' nur das Nötigste, sonst krieg ich das ja gar nicht nach Hause getragen"), sieht eher nach einem jener Massenschiffe aus, die überhaupt nur noch die größten Häfen anlaufen, weil sie selbst in die Amazonas-Mündung nicht mehr hineinpassen.

Aber hat deswegen der Vertreter eines so angekündigten nachhaltigeren Tourismus' mehr recht, der 100 Gäste ins Antarktis-Eis verfrachtet, als der Reeder mit dem 6000-Passagiere-Schiff, dessen Gäste vor lauter Attraktionen im Bauch des Potts gar nicht mehr an Land gehen und damit auch nicht die fragile Polar-Vegetation zertrampeln? Solche Fragen bleiben natürlich unbeantwortet. Schließlich lebt diese Messe mehr noch als viele andere von den Träumen der Besucher. Selbst wenn die nur die paar Euro haben, die zum Eintritt in die Wappenhalle berechtigen. Aber träumen wird man ja noch dürfen, so weit weg von den Meeren im Norden und Süden. Und wirklich schiffbar ist ja auch die Isar nicht.

© SZ vom 24.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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