Mitten in der Ludwigsvorstadt:Bahn-Marathon nach Lindwedel

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Auch das kann einem passieren: Man ist bereits mehrmals umgestiegen, und draußen ist immer noch der Münchner Hauptbahnhof

Kolumne von Nicole Graner

Reisen ist toll. Auch dass man zum Beispiel mit der Bahn von München nach Hannover in nur vier Stunden und 15 Minuten fahren kann. Eigentlich. Aber nehmen wir mal den ICE 588. Der sollte um 11.19 Uhr am Hauptbahnhof wegfahren, um 15.32 Uhr in Hannover und der Anschlusszug um 16.14 Uhr in Lindwedel sein. Eigentlich. Denn an diesem klirrekalten September-Tag klappt nichts. Von Anfang an. Die Türen zum ICE gehen nicht auf. Gut, warten. Man bekommt mit, dass zwei Züge, die zu einem werden sollen, sich nicht verkoppeln lassen. Irgendwann darf man einsteigen. Endlich warm. Man sitzt, streckt sich aus. 11.19 Uhr. Der Zug fährt nicht, auch zehn Minuten später nicht. Kein gutes Zeichen. Die Ansage: Die Abfahrt verzögert sich. Ach, echt? Dann: Alle Fahrgäste müssen aussteigen, der Zug ist kaputt, in Kürze werde ein neuer bereitgestellt. An einem anderen Bahnsteig. Alle marschieren hin. Auch Menschen mit viel Gepäck und jene, die nicht gut zu Fuß sind.

Dann wird "in Kürze" zu einem sehr dehnbaren Begriff. Dass es saukalt ist, der Wind pfeift, dafür kann die Bahn nichts. Aber dass von einem Zug weit und breit nichts zu sehen ist, dafür schon. Die Wartenden hüpfen von einem Bein aufs andere, kramen Pullover aus den Rucksäcken, wickeln sich Tücher um den Hals, kuscheln sich aneinander. Dann nach 30 Minuten die Durchsage: "In Kürze ...". 12.15 Uhr. Durchgefroren sitzen endlich alle im neuen Zug. Abfahrtszeit: 12.18 Uhr. Dann 12.26 Uhr. Man reibt sich die Hände warm, blickt aus dem Fenster. Ein mit iPad und Funk bewaffneter Mann eilt hin und her, schimpft laut. Wird doch nicht der Techniker sein? Doch. Und tatsächlich: Auch dieser Zug hat technische Probleme. Das kann doch nicht wahr sein. Dieses Mal müssen die Fahrgäste aus dem vorderen Zugteil aus- und in den angekoppelten umsteigen. Das dauert. Die Stimmung: im Keller. Um 12.46 Uhr rollt der Zug. Freiwillig teilt die Bahn "Fahrgastrechte-Formulare" aus, damit man Ticketpreis-Erstattungen einfordern kann, spendiert Kaffee. Der Anschluss in Hannover ist weg.

Da gab es doch mal diesen Spruch: "Jeder hat eine zweite Chance verdient, aber nicht für denselben Fehler"? Für einen persönlich heißt das, was die Bahn betrifft: Chance vertan.

© SZ vom 29.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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